Samstag, 30. April 2011

Was bleibt…

Obwohl ich früher wach bin als sonst, verlass ich mein Bett noch nicht. Schön, wenn man nicht gleich in den Tag hetzen muss, mir sogar die Zeit nehmen kann, um einen Kaffee am Bett zu trinken. Unter der Bettdecke lässt es sich auch gut aushalten und ich leg mich noch mal kurz auf´s Ohr und versinke traumhaft in eine andere Welt aus alten Zeiten.

In der anderen Welt ist mein Bett auch noch belegt. Doch liegt eine andere Person darin. Obwohl die Person komplett bedeckt ist, sie ist  mir nicht fremd. Ein altes vertrautes Gefühl kommt auf und macht sich breit. Der Körper, der sich unter der Bettdecke abzeichnet, sieht richtig groß aus.

Wer liegt in meinem Bett?

Unter der Bettdecke regt sich was. es kommt was in Bewegung. Der Fremde streift sich langsam die Bettdecke ab und richtet sich auf. Vor mir steht der Vater von Sohnemann. Sein Todestag jährte sich in diesem Jahr zum 10. mal. Heut steht er wieder vor mir. Er schaut mich sanft und freundlich an. Ich kann seine sanften Augen durch die Brillengläser sehen.  So freundlich und entspannt sah ich ihn zu Lebzeiten in seinen letzten Jahren nicht mehr. Er war ein Getriebener und stand deshalb unter Dauerdruck. Diese schwere Zeiten liegen nun schon lange hinter ihm, hinter mir, hinter Sohnemann, hinter uns. Was bleibt ist sein Sohn und von mir ein Groll auf ihn. Obwohl die alte Vertraulichkeit zwischen uns vorhanden ist, ich trete etwas zurück, will nicht, dass er sich mir nähert. Ich habe Angst davor,  Enttäuschungen neu zu durchleben, Angst davor,´alte Ängste wachzurufen, Angst davor alte Wunden zu öffnen. Ich hab sie all die Jahre nach seinem Tod mit Wut abgedeckt, aus einer Decke, aus Stacheldraht gewoben. Er hat uns allein gelassen, ist einen sinnlosen Tod gestorben.

Nur einmal brachte ich Blumen an sein Grab. Meine stachlige Wut überdeckte auch die Trauer. Warum hörte er damals nicht auf mich, als ich ihn anflehte, sich endlich helfen lassen? 

Doch die stachlige Wut glättet sich unter seinen sanften Blick. Die alte abgestandene Wut war in diesem Moment vergessen, löste sich ungehindert auf. Ich kann wieder Nähe zulassen. Sein Gesicht ist nun deutlich vor meinem. Er sieht entspannt und weich aus, wie damals, als wir uns kennenlernten.

Damals – ich lebte nach der Scheidung schon allein, in einer eigenen Wohnung, einer Dachwohnung, mit Hitze im Sommer und Kälte im Winter. Damit ich nicht zum Trauerkloss verkomme, besuchte mich meine Familie am Wochenende und gemeinsam gingen wir in eine Nachtbar. Die Bar war von Pärchen übersät und meine Familie bestand aus meiner Schwester mit ihrem Mann und meiner Mutter. Außer meinem Schwager fand sich kein Tanzpartner für mich, doch der hatte alle Beine voll zu tun. Er tat mir leid, weil er uns 3 Frauen nur abwechselnd betanzen konnte. Ich fühlte mich zwar abgelenkt, doch nicht von der Einsamkeit. Aber beschwingtes Tanzen könnte die Einsamkeit für ein paar Stunden vertreiben.

Bei einem Rundumblick entdeckte einen jungen Mann. Es saß an der Bar und hatte sich auf einem Barhocker niedergelassen. Mit einem gefüllten Whiskyglas in der Hand sah er ins Nichts. Er schein allein und in seinen Gedanken versunken zu sein. Auch wenig später kam keine Gesellschaft zu ihm, seine Gesellschaft hielt er in der Hand. Auf seine dicken Brillengläsern spiegelte sich das Licht der Bar wieder, als ich an ihm vorbei ging. Ich sah ihn mir heimlich aus der Nähe an. War er ein Junggeselle und allein in der Bar? So 100 %  mein Typ nicht war er nicht, aber als Tänzer könnte er mir vielleicht den Abend verschönern.

Später saß ich auch an der Bar und sah nur aus dem Seitenblick zu ihm. Im Gegensatz zu mir sah er mich nicht. Der Cocktail, den ich an der Bar trank, stärkte meinen Mut und ich sprach ihm im Verbeigehen an.

Mein Worte trafen seinen Rücken, denn erst hinterrücks setzte mein Mut sich durch: “Wenn sie hier nur trinken, dann können sie auch mit mir tanzen” warf ich ihm die Worte im Vorbeigehen zu und schwupp, weg war ich. Fast schwindlig, vor Aufregung setze ich mich auf meinen Platz. Als ich beim Setzen den Blick hob, stand er vor mir: “Darf ich bitten?” Ich flog vor Erleichterung in seine Arme. Endlich hatte ich einen Tanzpartner, der Abend ist gerettet, wir tanzten die ganze Nacht. Später zeigte sich, er war nicht nur ein Tanzpartner für mich, sondern auch ein wundervoller Gesprächspartner und noch später stellte sich heraus, dass er ein echter Partner für mich war. Erst 20 Jahre später machte ich die bittere Erkenntnis, dass er den Platz an der Bar mit einem gefüllten Glas Whisky in der Hand nie verlassen hatte.

Wie damals näherten wir uns ohne Umschweife, aber sensibel und ich spürte sogar der Hauch seiner Atmung, als er mir einen Kuss auf die Wangen gab. Nach einer Welle von wärmender Rührung stellte sich das Gefühl von Verzeihen und Vergeben ein. Er hat seinen Frieden gefunden, nachdem das Leben auf Erden für ihn zu einer Hölle wurde. Ich habe mit dieser traumhaften Begegnung meinen Frieden gefunden und  fühl mich in der Lage, mich von meiner Wut zu befreien. Sie wand sich all die Jahre nach seinem Tod wie eine Decke aus Stacheldraht um mich, schränkte mich ein.

Der Traum zu Ende, ich werde wach. Ich muss auch diesen Traum wieder loslassen, obwohl ich gern länger – wenn auch im Traum - an seiner Seite geblieben wäre, wie damals, in unseren besten Zeiten, als wir in heißen Sommernächten bei Kerzenlicht am weit geöffneten Fenster einer Dachwohnung saßen und vom Wein leicht beschwipst über Gott und die Welt sprachen. Erst jetzt dringen die Erinnerung aus besseren gemeinsamen Zeiten zu mir wieder durch.

Ich werde endgültig wach, streif die Traurigkeit ab, stell den kalt gewordenen Kaffee in der Küche ab, decke für Sohnemann und mich den Frühstückstisch auf dem Balkon. Es ist ein warmer Morgen. Sohnemann und ich sprechen noch über die Zeit hinaus über Gott und die Welt. Heut ist er nur 2 Jahre jünger als damals sein Vater bei unserer ersten Begegnung und hat nicht nur das  Aussehen zu vom seinem Vater geerbt, sondern auch meine Angst, das ihm ein ähnliches Schicksal wie seinem Vater wiederfährt. Diese Angst ist geblieben und schwebt diffus über unser beider Köpfe.

LaWe

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