Was bleibt…

Obwohl ich früher wach bin als sonst, verlass ich mein Bett noch nicht. Schön, wenn man nicht gleich in den Tag hetzen muss, mir sogar die Zeit nehmen kann, um einen Kaffee am Bett zu trinken. Unter der Bettdecke lässt es sich auch gut aushalten und ich leg mich noch mal kurz auf´s Ohr und versinke traumhaft in eine andere Welt aus alten Zeiten.

In der anderen Welt ist mein Bett auch noch belegt. Doch liegt eine andere Person darin. Obwohl die Person komplett bedeckt ist, sie ist  mir nicht fremd. Ein altes vertrautes Gefühl kommt auf und macht sich breit. Der Körper, der sich unter der Bettdecke abzeichnet, sieht richtig groß aus.

Wer liegt in meinem Bett?

Unter der Bettdecke regt sich was. es kommt was in Bewegung. Der Fremde streift sich langsam die Bettdecke ab und richtet sich auf. Vor mir steht der Vater von Sohnemann. Sein Todestag jährte sich in diesem Jahr zum 10. mal. Heut steht er wieder vor mir. Er schaut mich sanft und freundlich an. Ich kann seine sanften Augen durch die Brillengläser sehen.  So freundlich und entspannt sah ich ihn zu Lebzeiten in seinen letzten Jahren nicht mehr. Er war ein Getriebener und stand deshalb unter Dauerdruck. Diese schwere Zeiten liegen nun schon lange hinter ihm, hinter mir, hinter Sohnemann, hinter uns. Was bleibt ist sein Sohn und von mir ein Groll auf ihn. Obwohl die alte Vertraulichkeit zwischen uns vorhanden ist, ich trete etwas zurück, will nicht, dass er sich mir nähert. Ich habe Angst davor,  Enttäuschungen neu zu durchleben, Angst davor,´alte Ängste wachzurufen, Angst davor alte Wunden zu öffnen. Ich hab sie all die Jahre nach seinem Tod mit Wut abgedeckt, aus einer Decke, aus Stacheldraht gewoben. Er hat uns allein gelassen, ist einen sinnlosen Tod gestorben.

Nur einmal brachte ich Blumen an sein Grab. Meine stachlige Wut überdeckte auch die Trauer. Warum hörte er damals nicht auf mich, als ich ihn anflehte, sich endlich helfen lassen? 

Doch die stachlige Wut glättet sich unter seinen sanften Blick. Die alte abgestandene Wut war in diesem Moment vergessen, löste sich ungehindert auf. Ich kann wieder Nähe zulassen. Sein Gesicht ist nun deutlich vor meinem. Er sieht entspannt und weich aus, wie damals, als wir uns kennenlernten.

Damals – ich lebte nach der Scheidung schon allein, in einer eigenen Wohnung, einer Dachwohnung, mit Hitze im Sommer und Kälte im Winter. Damit ich nicht zum Trauerkloss verkomme, besuchte mich meine Familie am Wochenende und gemeinsam gingen wir in eine Nachtbar. Die Bar war von Pärchen übersät und meine Familie bestand aus meiner Schwester mit ihrem Mann und meiner Mutter. Außer meinem Schwager fand sich kein Tanzpartner für mich, doch der hatte alle Beine voll zu tun. Er tat mir leid, weil er uns 3 Frauen nur abwechselnd betanzen konnte. Ich fühlte mich zwar abgelenkt, doch nicht von der Einsamkeit. Aber beschwingtes Tanzen könnte die Einsamkeit für ein paar Stunden vertreiben.

Bei einem Rundumblick entdeckte einen jungen Mann. Es saß an der Bar und hatte sich auf einem Barhocker niedergelassen. Mit einem gefüllten Whiskyglas in der Hand sah er ins Nichts. Er schein allein und in seinen Gedanken versunken zu sein. Auch wenig später kam keine Gesellschaft zu ihm, seine Gesellschaft hielt er in der Hand. Auf seine dicken Brillengläsern spiegelte sich das Licht der Bar wieder, als ich an ihm vorbei ging. Ich sah ihn mir heimlich aus der Nähe an. War er ein Junggeselle und allein in der Bar? So 100 %  mein Typ nicht war er nicht, aber als Tänzer könnte er mir vielleicht den Abend verschönern.

Später saß ich auch an der Bar und sah nur aus dem Seitenblick zu ihm. Im Gegensatz zu mir sah er mich nicht. Der Cocktail, den ich an der Bar trank, stärkte meinen Mut und ich sprach ihm im Verbeigehen an.

Mein Worte trafen seinen Rücken, denn erst hinterrücks setzte mein Mut sich durch: “Wenn sie hier nur trinken, dann können sie auch mit mir tanzen” warf ich ihm die Worte im Vorbeigehen zu und schwupp, weg war ich. Fast schwindlig, vor Aufregung setze ich mich auf meinen Platz. Als ich beim Setzen den Blick hob, stand er vor mir: “Darf ich bitten?” Ich flog vor Erleichterung in seine Arme. Endlich hatte ich einen Tanzpartner, der Abend ist gerettet, wir tanzten die ganze Nacht. Später zeigte sich, er war nicht nur ein Tanzpartner für mich, sondern auch ein wundervoller Gesprächspartner und noch später stellte sich heraus, dass er ein echter Partner für mich war. Erst 20 Jahre später machte ich die bittere Erkenntnis, dass er den Platz an der Bar mit einem gefüllten Glas Whisky in der Hand nie verlassen hatte.

Wie damals näherten wir uns ohne Umschweife, aber sensibel und ich spürte sogar der Hauch seiner Atmung, als er mir einen Kuss auf die Wangen gab. Nach einer Welle von wärmender Rührung stellte sich das Gefühl von Verzeihen und Vergeben ein. Er hat seinen Frieden gefunden, nachdem das Leben auf Erden für ihn zu einer Hölle wurde. Ich habe mit dieser traumhaften Begegnung meinen Frieden gefunden und  fühl mich in der Lage, mich von meiner Wut zu befreien. Sie wand sich all die Jahre nach seinem Tod wie eine Decke aus Stacheldraht um mich, schränkte mich ein.

Der Traum zu Ende, ich werde wach. Ich muss auch diesen Traum wieder loslassen, obwohl ich gern länger – wenn auch im Traum - an seiner Seite geblieben wäre, wie damals, in unseren besten Zeiten, als wir in heißen Sommernächten bei Kerzenlicht am weit geöffneten Fenster einer Dachwohnung saßen und vom Wein leicht beschwipst über Gott und die Welt sprachen. Erst jetzt dringen die Erinnerung aus besseren gemeinsamen Zeiten zu mir wieder durch.

Ich werde endgültig wach, streif die Traurigkeit ab, stell den kalt gewordenen Kaffee in der Küche ab, decke für Sohnemann und mich den Frühstückstisch auf dem Balkon. Es ist ein warmer Morgen. Sohnemann und ich sprechen noch über die Zeit hinaus über Gott und die Welt. Heut ist er nur 2 Jahre jünger als damals sein Vater bei unserer ersten Begegnung und hat nicht nur das  Aussehen zu vom seinem Vater geerbt, sondern auch meine Angst, das ihm ein ähnliches Schicksal wie seinem Vater wiederfährt. Diese Angst ist geblieben und schwebt diffus über unser beider Köpfe.

LaWe

bonanzaMARGOT - 30. Apr, 12:24

bist du je hinter sein geheimnis gekommen - und das seiner trunksucht?
auch wenn man einen menschen gut kennt, blickt man nicht wirklich tief in sein inneres. und einige menschen verschließen sich sehr gut. sie wollen sich nicht öffnen, und damit nehmen sie sich selbst die chance, aus ihrer misere herauszukommen. gerade beim alkoholismus oder der drogensucht ist es wichtig, dass sich der betroffene öffnet, dass er selbst einen schritt in die andere welt macht - weg von der welt, in welche er sich irgendwann vor jahren selbst wegsperrte. es dauert nicht sehr lange, und die dämonen gewinnen die oberhand. der kampf ist sehr anstrengend. und wenn man den kampf mit ihnen aufgibt, rutscht man zusehends schnell in den abgrund.
du konntest davon nichts wissen, als du ihn kennenlerntest, lawe. erst nach und nach wird der fluch deutlich, der über einem suchtkranken menschen liegt - jedenfalls in der zeit, wo er sich noch beherrschen kann.
alkoholismus ist eine chronische krankheit mit meist schlechtem verlauf. gegen ende siegt die verzweiflung. der kranke ist nur noch eine schatten seiner selbst. wie du es sagst: er war nicht mehr der, den du kennenlerntest. deine gefühle von angst und wut sind absolut nachvollziehbar und berechtigt. vielleicht hättest du dir als co-alkoholikerin damals hilfe holen sollen ..., wenn schon er nicht bereit war, sich helfen zu lassen.
doch alles ist leichter gesagt als getan. ich glaube, ich darf das sagen.
er ist der vater deines sohnes. darum bleibt er für dich präsent - z.b. in deinen träumen. die zwiespältigen gefühle werden wohl bleiben. man kann zwar verzeihen, aber deswegen sind die offenen fragen nicht beantwortet ...

ich finde, dass du dich auf einem guten weg befindest.
du bist ein offener geist. du besitzt witz und lebensmut. und dein herz ist trotz aller schlimmer erfahrungen ein gutes.

Lange-Weile - 1. Mai, 23:41

Irrungen und Wirrungen

Hallo Bo.,

ich kenne aus meinem Leben auch viele Irrungen und Wirrungen, fühlte mich aber nie verloren. Dafür kann es viele Gründe geben. Ein Grund davon kann ein intaktes Elternhaus gewesen sein, oder meine Fähigkeit, meine Eltern so zu nehmen wie sie sind. Sie hatten sich und respektierten sich. Als Kind hast du ein Gespür für Disharmonie im Leben deiner Familie und solche musste ich nicht wahrnehmen. Somit gaben meine Eltern mir den Halt im Leben, den ein Heranwachsender braucht. Das ist meine individuelle Wahrnehmung, meine Geschwister erlebten die Familie anders.

Den Vater von Sohnemann lernte ich zum Zeitpunkt des Todes seines Vaters kennen. Er trank sich an der Bar vielleicht die Trauer aus der Seele. Als Kind musste er seinen Vater, den er sehr verehrte, in Delirien erleben und das ist vielleicht nicht ohne Folgen geblieben. Seine Grundstimmung war manisch depressiv.

Der Verfasser dieses Buches beschrieb das Leben in Suchtfamiilien und nutzte dafür ein bildhaftes Beispiel. Darin beschrieb die Familie als Konstrukt (Mobile), dass sich immer wieder auf ein Gleichgewicht einpendelt. Hängt ein Familienmitglied an der Flasche (auch als Klotz den den Beinen gesehen) reagiert ein Familienmitglied darauf und hängt sich auch ein Klotz ans (vielleicht auch eine Flasche) Bein., damit alles wieder ins Gleichgewicht kommt.

Sein Vater hatte sich im Hochstadium seiner Trunksucht das Leben genommen und sich vor den Zug geworfen
Er selbst konnte die innere Bindung zu seinem toten Vater vielleicht nicht mehr lösen und erzählte mir immer und immer wieder: "Ich muss die Mission meines Vaters erfüllen" Wenn er das sagte, war er mir ein Fremder. Um welche "Mission" es ging, verriet er mir nie.

Das ganze Drama der Auswirkungen - ebenfalls Delirien - hielt ich nicht lange durch. Meine Anpassungsfähigkeit ist zwar gut ausgeprägt, doch mein Selbsterhaltungstrieb ist wesentlich stärker ausgeprägt und zerrt mich stets aus ausweglose Situationen. In der Co-Abhängigkeit schwebte ich nur wenige Wochen, dann ging ich zu den anonymen Alkoholikern und holte mir einen Rat. Man riet mir, auf Distanz zu ihm zu gehen, wenn ich das Leben unseres Kindes nicht vergiften wollte. "Wenn sie kaputt sind, kann er noch so weiter machen wie bisher" "Nehmen sie das Kind und sorgen sie für ihn. Das Kind braucht ihre Fürsorge und Hilfe. Er muss sich seiner Sucht allein stellen und sich aus ihr mit professioneller Hilfe befreien" Danach wusste ich, was ich zu tun hatte.

Ich machte einen scharfen Schnitt und wand mich ab. Es war die schwerste Entscheidung meines Lebens:. Mein Herz wollte zerreißen. Aber ich konnte es mir nicht leisten in der Trunksucht des Partners unter zu gehen, denn ich hatte mit unserem gemeinsamen Sohn 3 Kinder in die Welt gesetzt, für die hatte ich die Verantwortung.

Der Traum sollte mich vielleicht besänftigen um mir den Frieden wieder zurück zu bringen. Es arbeitete zwar kaum noch an der Oberfläche, doch das Unterbewusste hatte vielleicht noch keinen Frieden gefunden.

Danke für deinen ausführlichen Kommentar

Gruß LaWe

bonanzaMARGOT - 2. Mai, 07:05

du handeltest richtig. aber sicher bleiben trotzdem schuldgefühle. da deutest du deinen traum wahrscheinlich richtig. das leben ist manchmal ziemlich brutal.
du hast deine mission erfüllt, lawe.

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