Mittwoch, 19. Oktober 2011

Überfall

Ohne emotionale Erregung schossen mir gestern einfach so die Tränen in die Auge. Ich war allein und mit dem Haushalt beschäftigt. Da können alle Gedanken sich ausbreiten und manchmal halte ich mich bei dem einen oder anderen etwas länger auf. Ein Gedanke davon war das Geburtsgasdatum – sechzehnter Oktober – meiner Schwester. “Heute hätte Schwesterherz Geburtstag gehabt”, ging es mir an dem Tag durch den Kopf. Dieser Gedanke kam mir mehrmals am Tag in den Kopf. “Heute hätte Schwesterherz Geburtstag gehabt”

Ich weiß nicht, viele Jahre zuvor ich mitte Oktober meine Koffer packte, um wieder in meine alte Heimat, der Insel Rügen, zu fahren. Dort bin ich aufgewachsen und der Rest meiner Familie verbrachte ihr ganzes Leben dort, wie auch meine ältere Schwester. Am 16. Oktober hatte sie Geburtstag und das war immer ein Anlass für mich , wieder mal die alte Heimat aufzusuchen. Ich erinnere mich an schöne Geburtstagsfeiern in ihrem Haus. Ihr Geburtstagstisch  war mit Liebe gebackenem Kuchen und ihren Sammeltassen eingedeckt. Die Geburtstagsrunde war groß – Verwandte, Kinder und Enkelkinder, Bekannte und Freunde. Rundherum ein Tag zum Wohlfühlen. Bei meiner Schwester fühlte ich mich immer geborgen, auch wenn ihr Mann mitunter knurrig war und nur mit einen angemessenen Alkoholpegel im Blut ausgelassen sein konnte.

Das warmherzige Wesen meiner Schwester war ein Schutzschild für ihre ganze Familie.

Doch dann kam der Donnerschlag, in ihr Leben, in das Leben ihrer Familie, in unsere Leben. Die Diagnose Plasmozytom sagte mir erst mal gar nichts. Nach dem nächtliche Telefonat mit meiner jüngeren Schwester  - sie ist Krankenschwester – blieb kein Zweifel offen, eine tödliche Krankheit hat meine Schwester heimgesucht. Gemeinsam kämpften wir 3 Jahre mit aller Kraft um ihr Leben.

Das erste mal in meinem Leben musste ich hilflos mit ansehen, wie grausam das Leben sein kann. Getragen von der Hoffnung auf Heilung hielt ich jeden Tag mit meine Schwester durch, doch im Hinterkopf sah ich keine Gnade für meine Schwester. Die Krankheit schlug mit all ihrer Grausamkeit zu. Ich fühlte mich wie in einer Starre, die mir dem letzten Halt gab, um nicht vor den Augen meiner Schwester in Tränen auszubrechen. Während ich meinen inneren Aufschrei mit aller Kraft unterdrückte, lächelte mich aus ihren geschundenen Körper immer noch ihre Warmherzigkeit an. Damals hatte sie kaum noch die Kraft, sich allein in Bett zu legen. Ich legte sie wie ein Kind zu Bett. Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, brach ich ihn Tränen aus.

All die erschütternden Erlebnisse während ihre Krankheit stapelten sich als grausiges Szenario in meinen Kopf, er drohte zu zerplatzen. Unter diesem Druck träumte ich vom Zerfall des Körpers einer Frau.

War das eine Vorahnung?

Es war eine Vorahnung, über die ich mit niemanden sprechend konnte, nicht mal mit mir selbst. Ich wollte das herannahende Unheil nicht akzeptieren, doch mein Traum sagte mir etwas anderes. Kurze Zeit später traf meiner Schwester der Schlag und sie nahm “Dank” dieses Ereignisses ihr wahres Dasein nicht mehr als Gefahr wahr. 4 Wochen später bekam sie während der Dialyse einen Krampfanfall und konnte nicht mehr an die Dialyse angeschlossen werden. Ihr Körper hatte entschieden und weigerte sich gegen jede weiter Behandlung. Er wollte nicht mehr und sie konnte Kraft ihres Geistes auch nicht mehr. Die letzten Tage waren gezählt.

Es ist schon komisch, während wir – ihre Angehörigen – verzweifelt um sie kämpften, nach diesem Ereignis entstand eine Ruhe, die schon unheimlich war. Alle wie wir waren, wir haben uns dem Schicksal gefügt. Es gab nichts mehr, was wir hätten tun können – eine unheimliche Ruhe nach einem starken Sturm.

Nach ihrem Tod schlugen alle die grausigen Eindrücke, die ich während ihrer Pflege hatten mit aller Macht zu. Egal wo ich war, in Räumen, auf der Straße oder im Bett – als Zufluchtsstätte – all die verdrängten Bilder liefen vor meinem inneren Auge wie ein böser Film ab. Ich war gezwungen, die über Jahre verdrängten Bilder unverblümt ansehen und kaum noch in der Lage, Menschen von außen wahrzunehmen. Ich ging an ihnen vorbei, als wäre niemand da.

Gestern überfiel mich die Trauer um meine Schwester noch einmal mit aller Macht. Nach 5 Jahren – so glaubte ich – hätte ich die Trauerarbeit abgeschlossen. Doch dem war nicht so. Noch einmal schlagen alles grausigen Ereignisse während ihren Krankheitsverlauf zu und die Verzweiflung von damals treibt mir Tränen in die Augen, die wie ein kleiner Wasserfall an den Wangen abfließen.

Mit ihrem Tod hat sich im Leben ihrer Familie sehr viel geändert.

Ihr Mann ertrug das allein sein und den Druck seiner und der Trauer seiner Kinder nicht und nahm sich nach einen guten Jahr eine Neue, die an die Stelle seiner verstorbenen Frau treten sollte. Die jedoch wollte den neuen Mann mit Eigenheim für sich allein haben und auch nicht mit den 2 Kindern teilen. So nahm er als erste Amtshandlung seinen Kindern den Schlüssel zum Elternhaus weg, versperrte seinem Sohn und seiner Familie, der im Kellergeschoss sich eine Wohnung ausbaute, mit einer Kette den sonst offenen Durchgang zwischen Erd- und Kellergeschoss. Der Sohn baute sich aus Verzweiflung ein eigenes Haus. Eine für ihn Fremde zerlegte die Erinnerung an seine Mutter zu Kleinholz. Ja…er fand sogar seine Kinderbilder in der Mülltonne.

Mit dem Tod ihrer Mutter verloren die Kinder auch ihren Vater, denn er konnte den Spagat zwischen neuer Frau und seiner alten Familie nicht bewältigen.

Meine begrüßende Hand lehnte mein Schwager bei unserer letzten Begegnung ab. Ich stand mit offener Hand vor ihn und er zog seine nicht aus der Tasche. Da ich ihn schon aus der Schulzeit kenne, sah ich den hilflosen Jungen vor mir, der bei jeder Erschütterung im Leben einen Zug aus der Flasche nahm. Sein schlechtes Gewissen mir gegen über – der Schwester seiner Frau -  hat auch ihn erstarren lassen.

LaWe

In den Wind geschrieben

hat Tränen aus dem Haus getrieben

alles muss raus

vermüllt bis zum...
Als braver Bürger trenne ich den Müll sorgsam, so wie...
Lange-Weile - 20. Aug, 13:27
Nostalgische Erinnerung
Als ich Federhalter, Feder sowie das kleine Tintenfass...
Lange-Weile - 14. Aug, 14:25
Für alle Sushi Friends
Beeindruckender Film, auf jeden Fall sehenswert. Hat...
sushi-friends - 11. Apr, 14:40
Hallo Lo.
..ja ich denke, er hätte sich gefreut, auch wenn mein...
Lange-Weile - 20. Aug, 08:50
Ein schöner Nachruf...
Ein schöner Nachruf...
Lo - 19. Aug, 12:46

Das Neuste von

Hallo ;-)

meine Randbemerkungen

Achja...
das wusste ich gar nicht. Diese Art feinsinnigen Humor...
abendGLUECK - 5. Mai, 09:48
wie makaber ;-) Bei...
wie makaber ;-) Bei uns wurde es ähnlich, aber anders...
abendGLUECK - 4. Mai, 08:13
Gegenmittel
Hallo Bo., gestern las ich über eine amerikanische...
abendGLUECK - 25. Apr, 11:03

Abendstimmung

Suche

 

Wer bist du?

Online seit 6719 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Albtraum
Alter Schwede
Betrachtung
Experiment
Fragen
Glücksliste
Kurzmitteilung
Musik
Nachklang
Rätsel
Spaß Ecke
Stadtbilder
Stöckchen
Tage im Fluss
Traumzeit
Witzecke
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren