Dienstag, 12. April 2011

Zeitschleife

Ob es seine Stimme ist, ob es der Klang der ganzen Gruppe ist, ich weiß es nicht. Aber sowie ich die ersten Töne der Rockband Reamonn höre, werde ich zeitgleich aus meinem Alltag gezogen und in die emotionale Welt meiner Jungendzeit transportiert. Sie wird wieder aktuell, als wäre es gestern.

Die Zeit, in der der Jungendtanz in der kargen Dorflandschaft das höchste der Gefühle war. Weil es dieses Ereignis selten gab, war es immer der Höhepunkt der Saison. Meine letzten Mäuse kratzte ich für einen Kleiderstoff zusammen, um mir für die Feier des Tages ein neues Kleid nähen zu lassen. Mein Mutter musste, ob sie wollte oder nicht, noch auf den letzten Drücker ein Kleid nähen, mit ich die Schönste des Abends sein wollte. Am Samstag – nach dem Mittagessen – setzte meine Mutter die Schere für den Schnitt im Stoff an und mit Tempo 80 ratterte die alte Nähmaschine die Nähte zusammen und am Abend, gegen 19. 30 Uhr war das Kleid fertig. Während ich ihr half und nebenbei meinen Haaren eine Frisur abverlangte, zu denen sie gar nicht im Stande waren – zum Glück gab es genügend Bier, um die Haare zu stärken und Lack um sie zu verkleben – tanzten in meinem Gedanken schon die Jungs im Kopf vor meinen Augen. Mit bangen Herzen hoffte ich, der Liebling der Saison wird auch zum Tanz erscheinen. Der jedoch kam nicht aus dem Dorf. In diesem Jahr war der Liebling meiner Saison ein blonder Jüngling, der mir schon mehr als einmal verliebt in die Augen sah. Doch die Dorffremden mussten auch mit Schläge rechnen, wenn sie ein Auge auf ihre Dorfmädels warfen. Die Dorffremden konnten ihren Heldentum beweisen und die Dorfjungs im Falle einer Schlägerei Schelte und die kalte Schulter von uns Mädels erwarten.

Aber bevor es soweit war, wurde getanzt und getrunken, denn erst die berauschten Gemüter sprangen über wie Funken aus einem Flammenmeer.

Der Eintritt für den Abend war erschwinglich und die Getränke wurden in vorgerückter Stunden von den Jungs spendiert. Noch weich in den Knien ging ich durch den Saal, wenn der leere Platz ganz hinten war und die Augen liefen wie von selbst wie eine Rundumleuchte um zu erkunden: “Ist der da?” War er da, versprach der Abend schön zu werden, doch bevor es zum gemeinsamen Tanz kam, war es noch ein langer Weg. Tänze, bei denen die Tanzgäste ein Solo hinlegen konnten, gab es nicht. Nur Paare waren auf der Tanzfläche und der Notnagel – die beste Freundin – musste die Lücke füllen.

Die Trinkbar war im einem Hinterzimmer der Dorfsaales. Der Zigarettenrauch bildete nach vorgerückter Stunde schon eine dicke Nebelwand zwischen den Augen der Gäste. Erkennen war nur möglich, weil man sich kannte. Mein Augen brannten wie Feuer und mein Herz auch. Er hatte mich noch nicht aufgefordert und ich hatte schon alle Dorftrottel durchgetanzt, ihnen ein höfliches Lächeln geschenkt, ihnen vielleicht Hoffnung gemacht ? Nach den spendierten Schnäpsen könnte man davon ausgehen. Die Unterhaltung wird schwierig, denn ich muss mir den Rücken frei halten und mich schon gar nicht abschleppen lassen. Im Auge und im Herzen ist nur der Eine und der hatte mich noch nicht zum tanzen aufgefordert. Damit man mir nicht ansieht, wie ich darunter leide, schaue ich nur an ihm vorbei, tu so, als wäre er Luft für mich. Doch das Herz schlägt Alarm und will sein Recht, will auch zum Zuge kommen und zumindest die Länge eines Tanzes an seiner Seite sein. Vielleicht sogar einen Tanz, der langsam und eng getanzt wird. Nach dem 3. oder 4. Nikolaschka – ein zuckerhaltiger mit Zitrone und Pulverkaffee servierter Weinbrand – brennt mein Herz vor Ungeduld und meine Blicke werden deutlicher, suchen seinen Blick.

Der Saal ist klein und überschaubar und wenn er nicht grad mit einer anderen vor der Tür knutsch, finde ich seinen Blick schnell. Der Nikolaschka – ein wirksames Getränk - hat mich mutig gemacht und meine Zurückhaltung auf den Nullpunkt gebracht, es dauert nicht lang und ich geh ran an den Mann. Vielleicht gibt es ja auch eine Damenwahl, dann kann ich es wagen. Aber vielleicht ist die Damenwahl schon vorbei? Hin- und hergerissen von wollen und nicht trauen, setz ich mich auf meinen Platz, den ich zu Beginn des Abends eingenommen hatte. Ein kurzer Blickkontakt sollte die Basis für den erlösenden Tanz sein, der genügend Nähe und Raum für meine Schwärmerei möglich macht. Ich bin so weit, ich bin reif….die Dorfkapelle auch. Sie spielt vertraute Musik, es wird nicht nur eng auf der Tanzfläche, auch zwischen den Tanzpaaren. Ich warte und hoffe, ich hoffe und warte, kommt er ? Hoffentlich kommt er ? Ich trau mich gar nicht nach oben zu schauen, spüre nur, dass die Tanzfläche sich füllt und dass ohne mich? Ein beliebter Titel, der zum engen Körperkontakt bei Tanzen einlädt, da bleibt keiner sitzen. Nur die die sitzen gelassen wurden und nur wer nicht flirte will, geht beim Tanzen auf Distanz, alle anderen gehen ran. Mein Liebling der Saison auch und steuert auf den Tisch zu, an dem ich sitze. Mir wird schwarz vor den Augen und sein: “Darf ich bitten” höre ich nur aus weiter Ferne. Ich fliege auf die Tanzfläche und schwebe mit meinen Liebling der Saison über den Tanzsaal, in dem es dicht gedrängt ist. Das fördert die Nähe zusätzlich und lässt die Temperatur steigen.  Ein kurzes Gespräch der Höflichkeit wegen, dann ist nur noch Körperkontakt, Ganz nah sein, seine Atem im Ohr hören, den Herzschlag meines auserwählten Liebling der Saison. wahrnehmen. Das höchste der Gefühle ist erreicht, wenn ein scheuer Kuss die Lippen verbindet.

Ja..in dieses brennende Herz der jungendlichen Schwärmerei zieht mich die Stimmer des Sängers von Reamonn schon mit seinem ersten Ton. Schön, dass Stimmen eine solche Assoziation auslösen können und den Menschen für kurze Zeit in alte und schöne fast vergessene Emotionen eintauchen lässt.

 

Eine bessere Version des Titels von Reamann kann man hier sehen

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