Überfall

Ohne emotionale Erregung schossen mir gestern einfach so die Tränen in die Auge. Ich war allein und mit dem Haushalt beschäftigt. Da können alle Gedanken sich ausbreiten und manchmal halte ich mich bei dem einen oder anderen etwas länger auf. Ein Gedanke davon war das Geburtsgasdatum – sechzehnter Oktober – meiner Schwester. “Heute hätte Schwesterherz Geburtstag gehabt”, ging es mir an dem Tag durch den Kopf. Dieser Gedanke kam mir mehrmals am Tag in den Kopf. “Heute hätte Schwesterherz Geburtstag gehabt”

Ich weiß nicht, viele Jahre zuvor ich mitte Oktober meine Koffer packte, um wieder in meine alte Heimat, der Insel Rügen, zu fahren. Dort bin ich aufgewachsen und der Rest meiner Familie verbrachte ihr ganzes Leben dort, wie auch meine ältere Schwester. Am 16. Oktober hatte sie Geburtstag und das war immer ein Anlass für mich , wieder mal die alte Heimat aufzusuchen. Ich erinnere mich an schöne Geburtstagsfeiern in ihrem Haus. Ihr Geburtstagstisch  war mit Liebe gebackenem Kuchen und ihren Sammeltassen eingedeckt. Die Geburtstagsrunde war groß – Verwandte, Kinder und Enkelkinder, Bekannte und Freunde. Rundherum ein Tag zum Wohlfühlen. Bei meiner Schwester fühlte ich mich immer geborgen, auch wenn ihr Mann mitunter knurrig war und nur mit einen angemessenen Alkoholpegel im Blut ausgelassen sein konnte.

Das warmherzige Wesen meiner Schwester war ein Schutzschild für ihre ganze Familie.

Doch dann kam der Donnerschlag, in ihr Leben, in das Leben ihrer Familie, in unsere Leben. Die Diagnose Plasmozytom sagte mir erst mal gar nichts. Nach dem nächtliche Telefonat mit meiner jüngeren Schwester  - sie ist Krankenschwester – blieb kein Zweifel offen, eine tödliche Krankheit hat meine Schwester heimgesucht. Gemeinsam kämpften wir 3 Jahre mit aller Kraft um ihr Leben.

Das erste mal in meinem Leben musste ich hilflos mit ansehen, wie grausam das Leben sein kann. Getragen von der Hoffnung auf Heilung hielt ich jeden Tag mit meine Schwester durch, doch im Hinterkopf sah ich keine Gnade für meine Schwester. Die Krankheit schlug mit all ihrer Grausamkeit zu. Ich fühlte mich wie in einer Starre, die mir dem letzten Halt gab, um nicht vor den Augen meiner Schwester in Tränen auszubrechen. Während ich meinen inneren Aufschrei mit aller Kraft unterdrückte, lächelte mich aus ihren geschundenen Körper immer noch ihre Warmherzigkeit an. Damals hatte sie kaum noch die Kraft, sich allein in Bett zu legen. Ich legte sie wie ein Kind zu Bett. Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, brach ich ihn Tränen aus.

All die erschütternden Erlebnisse während ihre Krankheit stapelten sich als grausiges Szenario in meinen Kopf, er drohte zu zerplatzen. Unter diesem Druck träumte ich vom Zerfall des Körpers einer Frau.

War das eine Vorahnung?

Es war eine Vorahnung, über die ich mit niemanden sprechend konnte, nicht mal mit mir selbst. Ich wollte das herannahende Unheil nicht akzeptieren, doch mein Traum sagte mir etwas anderes. Kurze Zeit später traf meiner Schwester der Schlag und sie nahm “Dank” dieses Ereignisses ihr wahres Dasein nicht mehr als Gefahr wahr. 4 Wochen später bekam sie während der Dialyse einen Krampfanfall und konnte nicht mehr an die Dialyse angeschlossen werden. Ihr Körper hatte entschieden und weigerte sich gegen jede weiter Behandlung. Er wollte nicht mehr und sie konnte Kraft ihres Geistes auch nicht mehr. Die letzten Tage waren gezählt.

Es ist schon komisch, während wir – ihre Angehörigen – verzweifelt um sie kämpften, nach diesem Ereignis entstand eine Ruhe, die schon unheimlich war. Alle wie wir waren, wir haben uns dem Schicksal gefügt. Es gab nichts mehr, was wir hätten tun können – eine unheimliche Ruhe nach einem starken Sturm.

Nach ihrem Tod schlugen alle die grausigen Eindrücke, die ich während ihrer Pflege hatten mit aller Macht zu. Egal wo ich war, in Räumen, auf der Straße oder im Bett – als Zufluchtsstätte – all die verdrängten Bilder liefen vor meinem inneren Auge wie ein böser Film ab. Ich war gezwungen, die über Jahre verdrängten Bilder unverblümt ansehen und kaum noch in der Lage, Menschen von außen wahrzunehmen. Ich ging an ihnen vorbei, als wäre niemand da.

Gestern überfiel mich die Trauer um meine Schwester noch einmal mit aller Macht. Nach 5 Jahren – so glaubte ich – hätte ich die Trauerarbeit abgeschlossen. Doch dem war nicht so. Noch einmal schlagen alles grausigen Ereignisse während ihren Krankheitsverlauf zu und die Verzweiflung von damals treibt mir Tränen in die Augen, die wie ein kleiner Wasserfall an den Wangen abfließen.

Mit ihrem Tod hat sich im Leben ihrer Familie sehr viel geändert.

Ihr Mann ertrug das allein sein und den Druck seiner und der Trauer seiner Kinder nicht und nahm sich nach einen guten Jahr eine Neue, die an die Stelle seiner verstorbenen Frau treten sollte. Die jedoch wollte den neuen Mann mit Eigenheim für sich allein haben und auch nicht mit den 2 Kindern teilen. So nahm er als erste Amtshandlung seinen Kindern den Schlüssel zum Elternhaus weg, versperrte seinem Sohn und seiner Familie, der im Kellergeschoss sich eine Wohnung ausbaute, mit einer Kette den sonst offenen Durchgang zwischen Erd- und Kellergeschoss. Der Sohn baute sich aus Verzweiflung ein eigenes Haus. Eine für ihn Fremde zerlegte die Erinnerung an seine Mutter zu Kleinholz. Ja…er fand sogar seine Kinderbilder in der Mülltonne.

Mit dem Tod ihrer Mutter verloren die Kinder auch ihren Vater, denn er konnte den Spagat zwischen neuer Frau und seiner alten Familie nicht bewältigen.

Meine begrüßende Hand lehnte mein Schwager bei unserer letzten Begegnung ab. Ich stand mit offener Hand vor ihn und er zog seine nicht aus der Tasche. Da ich ihn schon aus der Schulzeit kenne, sah ich den hilflosen Jungen vor mir, der bei jeder Erschütterung im Leben einen Zug aus der Flasche nahm. Sein schlechtes Gewissen mir gegen über – der Schwester seiner Frau -  hat auch ihn erstarren lassen.

LaWe

bonanzaMARGOT - 19. Okt, 13:57

solche menschlichen erschütterungen - wie das leid, das sterben und den tod eines nahen angehörigen - nimmt jedes familienmitglied unter umständen anders wahr, und verarbeitet dies für sich auch anders.
es ist sehr schwer, da mit vorwürfen oder anschuldigungen zu kommen - auch wenn sie sich aufdrängen mögen.
du schreibst sehr eindringlich und gut über deine erfahrungen mit dem tod deiner schwester.
es ist sehr schade, wenn die kommunikation innerhalb der familie derart gestört ist, dass man sich nicht richtig dem anderen anvertrauen kann, oder dass man gar vor dieser kommunikation und begegnung flüchtet bzw. sich versperrt.
aber letztlich muss man`s akzeptieren.
das erinnert mich daran, dass ich mal wieder meine eltern anrufen sollte ...

dir einen schönen tag, lawe.

Lange-Weile - 20. Okt, 12:12

ohne Halt

Hallo Bo.,

ich war selber überrascht, dass die Trauer um meine Schwester mich scheinbar aus dem Nichts überfiel. Hätte ich auch nicht gedacht, dass noch mal so einer Wucht kam.
Zum Glück hab ich meine Schwester jetzt aber wieder vor Augen, wie sie aussah, als ihr Körper von der Krankheit nicht so geschunden war. Zumindest, was das betrifft, heilt die Zeit die Wunden.

Leider ist ihre Familie nach ihrem Tod zerbrochen, d.h. nicht ganz. Die Kinder sind zusammengerückt und stärken sich gegenseitig den Rücken. Aber meine Schwester hatte schon geahnt, dass ihr Mann diese Kraft nicht haben wird. Als sie wenige Wochen vor ihrem Tod mit ihm und ihren Kindern über die "Ordnung" in de Familie nach ihren Tod sprechen wollte. lief ihr Mann weg, flüchtete zu seinen Eltern. Die Angst um das Haus treib ihn dort hin. Meine Schwester hatte gewollt, dass das Elternhaus nach ihrem Tod allen gehört, auch ihren Kindern. Das war alles, was sie noch für ihre Kinder wollte und konnte.

Als später meine Schwester im Sterben lag, lag iht Mann volltrunken im Bett und seine Tochter musste ihn davon abhalten, sich nicht volltrunken ins Auto zu setzen. Ich habe solch geballte Hilflosigkeit noch nie gesehen. Aber vielleicht war er schon wegen des Leides seiner Frau derart ausgehöhlt, dass er keine Kraft mehr hatte.

Was mich betrifft, stelle ich unbewusst, was mentale Kraft betrifft, sicher hoche Ansprüche an einen Mann. Zum einem, weil ich meinen Vater immer als Vorbild vor Augen habe. Er verlor nie die Nerven - auch in den schlimmsten Zeiten nicht. Auf der anderen Seite musste ich in meinem Leben schon viele schwere Situationen meistern, in denen ich lieber weggelaufen wäre. Da denke ich mir, was ich aushalten kann, kann ein Mann doch auch aushalten?

Ich hab deshalb immer ein Problem, ein echtes Verständnis aufzubringen, wenn ein Mann in schwierigen mentalen Situationen in die Knie geht.

Ich denke, das meine Schwester diesen "Einbruch" ihres Mannes schon erahnt hatte und sich im Himmel über ihn wenige wundert, als wir es tun..

Achja. das fällt mir ein.Hast du deine Eltern angerufen ? ;-)

LG LaWe
bonanzaMARGOT - 20. Okt, 12:29

noch nicht.

was die mentale stärke angeht, da sehe ich keine geschlechtsspezifischen unterschiede zwischen männern und frauen. in manchen situationen erweisen sich die frauen oft als die stärkeren - und in anderen die männer.
was den umgang mit schwierigen gefühlslagen angeht, da sind die frauen oft die stärkeren. sie sind da auch konsequenter, während männer das unangenehme gern von sich schieben und in alkohol und andere ablenkungen flüchten. männer sind meist in rationalen dingen den frauen überlegen. sie können sachlagen besser überblicken. also, wie gesagt, das sind nur tendenzen ...; allgemein ist die sache von stärke und schwäche nicht geschlechtsspezifisch. da überwiegt der ganz persönliche charakter. so sind jedenfalls meine beobachtungen.
ich mag nicht besonders stark sein (müssen). wozu? ich halte das eher für heuchlerisch, wenn man stärke vorspiegeln muss, weil sie von einem erwartet wird. ich mag als mann mich auch anlehnen dürfen. ich möchte einfach so sein, wie ich bin.
Lange-Weile - 21. Okt, 17:15

Natur

Hallo Bo.,

das stimmt auf jeden Fall. Die Stärken von Mann und Frau können sich ganz gut ergänzen. Da hat die Natur vorgesorgt.

Auch der Mensch selbst kann gut zwischen seinen Stärken und Schwächen schalten, wenn er will und das auf körperlicher, geistiger und mentaler Ebene. Wer stark sein will, muss ich auch erlauben, schwach zu sein.

Wer Verantwortung trägt, darf seine Stärke jedoch nicht aus den Augen verlieren und in der Lage sein, deine Stärken zur richtigen Zeit abrufbar zu machen. . Das sind Menschen, die in irgend einer Form an der Spitze stehen, sei es in einem Unternehmen oder Familie. Es gibt Menschen, die darauf angewiesen sind und andere wieder, die sich darauf verlassen.

Daraus leiten sich z.B. auch meine Erwartungen an einen Mann ab, der zur richtigen Zeit seine starke Seite einsetzen kann und andere darauf bauen können.

Stärke vorspielen, dass ist wohl der Grund, warum vielen Menschen ausbrennen und krank werden. Das nimmt der Körper einen eines Tages übel. Dieses Verhalten ist aber eine Folge des Turbokapitalismus, wie er heut praktiziert wird.

Ich wünsche dir noch ein schönes WE

LG LaWe
bonanzaMARGOT - 22. Okt, 12:40

menschen sind nunmal unterschiedlich stark - physisch wie psychisch.
darum gibt es sowas wie gegenseitige rücksichtnahme.
wobei vorallem die starken gefragt sind. ist doch klar.
dooferweise sind die oft zu egoistisch und asozial, um ihrer verantwortung gegenüber den schwachen gerecht zu werden.
im kapitalismus gilt das gesetz des stärkeren.
die schwachen dienen lediglich als "futter" und werden gerade so am leben erhalten. weil das futter darf dem löwen freilich nicht ausgehen. logisch.

verantwortung - ich mag dieses wort gar nicht, denn das wendet jeder immer nur auf andere an - aber nicht auf sich. ich meine, man sollte dieses wort nicht so schnell hervorziehen. wir leben alle in einem geflecht gegenseitiger verantwortung.
Lange-Weile - 23. Okt, 22:20

Demut

Hallo Bo.,

das erinnert mich an den "Supermann". Ich glaube, der Film lief vor ein paar Tagen wieder im TV. Die Botschaft dieses Filmes war ja, wer viel Kraft hat, der hat auch Macht und deshalb muss er sich immer wieder in Demut üben.

Dem Comiczeichnern und den Filmmachern ist diese Botschaft perfekt gelungen. In einem Teil durfte Supermann seine Machtgelüste ausleben und für dein Umfeld kam nur Tod und Verzweiflung. Nur die Liebe holte ihn auf den Boden der Tatsache wieder zurück. Perfekt aufgezeigt, das Machtgelüste die Welt eher aushöhlen als bereichern, aber diese Botschaft nehmen sicher nur die Auf, die keine Machtgelüste haben ;-).

Verantwortung muss man nicht nur auf andere angewendet sehen, denn für sich selbst muss man auch Verantwortung übernehmen.

Ich weiß, du magst solche und ähnliche Begriffe nicht so gern in den Mittelpunkt stellen. Das sind ja auch Schlagworte, die man schon tausendfach um die Ohren bekam.

Was mich betrifft, hat Verantwortung für mich heut einen ganz anderen Inhalt als vor 10 Jahren. Damals dachte ich, seiner Verantwortung gerecht zu werden genau so viel, wie seinen Pflichten nachkommen - als Mutter, als Angestellter usw. Heut sehe Verantwortung schon ehr erweitert. Dazu gehört auch, dass mir bewusst wurde, dass ich auch - sicher auch altersbedingt - für andere ein Vorbild bin.

Ich erinnere mich, das ich als junger Menschen andere beobachtet und genau hinschaute, wie sie sich in Krisensituationen zeigten. Nur die, die den Kopf behielten, wurden von mir als Vorbild auserkoren und blieb mit einem Auge immer als stiller Beobachter am Ball. Das hat schon was mit einer Art Nachahmung zu tun und sicher auch speziell meine Natur, mich in der Welt zu orientieren und einen Platz zu finden.

Jeder geht ja seinen Weg und wird sich auf seine Weise als Vorbild bewähren, wenn er als solcher auserkoren wurde. ;-)

LG LaWe

bonanzaMARGOT - 24. Okt, 12:16

superman ist eben auch super einsichtsfähig.
Lange-Weile - 25. Okt, 01:18

Irrweg

Hallo Bo.,
dafür ist er ja der Supermann.
Er kann, was wir nicht können. Aber einen Irrweg ging er auch und musste dafür bezahlen.
Naja..alles nur Comic - alles nur Film. Und trotzdem - ein klare Botschaft ;-)

LG LaWe

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