Erwachen am Morgen

Noch im Bett und mit einem kleinen Tastendruck auf die Fernbedienung für mein Radio bin ich schon vor dem Aufstehen am Nabel der Welt, denn die Nachrichten sind ja alle 30 Minuten garantiert. Zwischen den Nachrichten dann wieder Werbung und Musik und diese lässt mich noch ein paar Minuten nachschlummern.

Und dann wieder die Nachrichten - nicht selten werden sie mit Toten eröffnet. Ein grausames Familiendrama und die Unwetter-Opfer leiten schon seit den Morgenstunden die Nachrichten an.

Ach, es ist alles so traurig und wie hart es Menschen treffen kann. Mal trifft sie die höhere Gewalt, wie beim schlimmsten Sturm über Südeuropa über´s Wochenende. Was bin ich froh,dass ich hier oben im Norden lebe, denn meine Oma sagte uns Enkelkindern immer: "Wir leben in einem gelobten Land" und meinte damit, dass sich die Unwetter schon woanders ausgetobt haben.

Und ein andermal ist es häusliche Gewalt. Ein volltrunkener Mann zerstört bis auf ein 3-Jähriges Kind die gesamte Familie, Frau und zwei Kinder tot, nur er und das 3-jährige leben noch.

Das erinnerte mich an die schlimmste Zeit im Zusammenleben mit einen Alkoholiker, der verzweifelt um sein Entrinnen vor der Flasche kämpfte. Weil er die Trunksucht vor mir verbergen wollte, trank er in der Toilette oder noch vor der Wohnungstür große Mengen Alkohol und wenig später verwandelte sich ein liebevolles Wesen in ein Monster. Sogar seine Stimme veränderte sich, hatte eine schärfere Stimmlage und seine Worte waren zynisch und herablassend mir gegenüber. Wenig später sauste er durch die Wohnung und fühlte sich von imaginären Figuren bedroht. Alles was schwarz war - so auch Schatten - bedrohte sein Leben. Die Panik in ihm und damit auch in mir lief in Hochform auf. Als mir klar war, dass er in einem Stadium von Wahnvorstellung war, bangte ich sogar um mein nacktes Leben und damit verbunden, dass unser gemeinsamer Sohn eines Tages an unser beiden Gräber stehen muss. Wann würde ich mich in seinem Wahnvorstellungen in ein Monster verwandeln und er aus Angst vor diesem Monster auf mich einschlagen?

Später konnte er sich an diese ausgeprägten Ängste nur noch dunkel erinnern, wenn überhaupt. Ich flehte ihn an, sich deshalb ärztlich behandeln zu lassen, doch mein Flehen verhallte ohne Echo ich seinem Kopf, denn täglich nahm der Rausch mehr von seinem Geist besitzt. Sein Selbsthass wegen der Unfähigkeit vom Alkohol wegzukommen fraß seine Persönlichkeit täglich ein bisschen mehr auf.

Er zwang mich, ihm beim sterben seiner Persönlichkeit zuzusehen und das tat ich nicht und verließ ihn - auf Rat einer trockenen Alkoholikerin - konsequent und ohne Widerruf und 3 Jahre nach unserer Trennung starb er so einfach weg. Eine wirkliche Entziehungskur machte er nie, obwohl er sich einem Arzt vorstellte. Ich fand es unverantwortlich, dass er in dem Stadium nur 1 Gespräch pro Woche - das sagte er mir - beim einem Arzt hatte.

Leider wird die Bedrohung das Alkoholismus noch nicht im vollen Umfang erkannt, denn sie tötet nicht nur den Betroffenen selbst, sondern mitunter auch die ganze Familie.

Ich hoffe, dass die Leitnachrichten am Montag etwas besser ausfallen, als die heutigen

LaWe
rosenherz - 25. Jan, 15:15

Ja, all die Nachrichten die einem täglich ins Haus geliefert werden, können einem erschlagen. Mir hilft hier ein konsequentes Abschalten des Geräts oder bewußte Ruhezeiten. Ich kann an den öffentlichen und privaten Katastrophen, die überall in der Welt passieren, ohnehin nichts (mehr) ändern.


Die Alkoholsucht ist eine Sucht, die tragisch verläuft. Allerdings würde ich sie nicht als Unfähigkeit des Betroffenen sehen oder bezeichnen. Ich denke, die Ursache muss immer auch im Zusammenhang mit dem Umfeld und mit dem sozialen Erwartungsdruck gesehen werden, in die die Menschen eingebettet sind und die einen Menschen dazu treiben, sich Entlastung zu verschaffen mit Alkohol. Wie ist der Arbeitsdruck, was erwartet die Familie, was die Kollegen?
Ich denke, der Alkohol ist eine Form, wie ein Mensch Entlastung sucht, aber noch keine andere Möglichkeit gefunden hat, das Problem das ihn belastet, zu bewältigen.

Lange-Weile - 26. Jan, 17:07

väterliche Kraft

Hallo Rosenherz,

ja..das stimmt. Das Umfeld und dir Neigungen sind von entscheidender Bedeutung. Oftmals ahmen die jungen Männern ihren Vätern nach und sie tun, was ihre Väter auch schon taten. Bei Frauen mag es ähnlich sein.

Auf der anderen Seite gibt es noch eine weitere Erkenntnis, die eher spirituell zu betrachten ist. Ich sah es in Familienaufstellungen, dass ich einigen Familien die "väterliche Kraft" fehlt. Diesen Begriff nutzte unsere damalige Seminarleiterin und ich sah währen der Aufstellung, dass es mehrere Väter - innerhalb der Generationen - brauchte, um den Vater zu stützen, der heute seinem Sohn das Leben beibringen soll.

Im Falle meines Partners war es so. Seit Vater wankte im Leben und dessen Vater? Weiß man nicht, er war ein Findelkind.

Ich wünsche dir noch eine schöne Woche

Gruß LaWe
rosenherz - 26. Jan, 22:06

Ja, gut dass du das jetzt dazu sagst. Aus den von dir angeführen Gesichtspunkten sehe ich es als Unmöglichkeit, wenn die Leute aufhören sollen zu trinken, ohne eine Perspektive der Lebensbewältigung zur Verfügung zu haben. Den Aspekt einer Familienaufstellung halte ich für einen wesentlichen Punkt.
bonanzaMARGOT - 25. Jan, 17:17

hi, ich las mit interesse deinen erfahrungsbericht. es ist erschütternd, wenn man zu einem geliebten menschen den zugang verliert. alkoholismus ist da nur eine geschichte. ich verlor in der jugend meine mutter durch eine psychische erkrankung. ich wurde als junger mann zum gewohnheitstrinker - und streng genommen bin ich (heute) ein alkoholiker. bevor ich vielleicht (mit hilfe) an meiner sucht arbeiten wollte, würde ich mir wünschen, dass alkoholiker nicht nur als monster oder asoziale dargestellt werden. die erfahrungen, die du mit deinem mann durchleiden mußtest, waren furchtbar. die entscheidung, dich von ihm zu trennen, war bestimmt richtig - sowieso wenn du z.b. kinder schützen mußt.
ich hätte ein paar fragen:
war dein mann bereits alkoholiker bzw. alkoholgefährdet, als du ihn kennengelernt hast?
wie vollzog sich seine entwicklung hin zum alkoholabhängigen?
konntet ihr wenigstens manchmal darüber offen reden?
war das heimliche trinken deines mannes vielleicht eine reaktion auf deinen druck bzw. auf dein abweisendes verhalten?
wo siehst du deine verantwortung in der beziehung?

entschuldige, ich möchte dir nicht indirekt eine schuld geben. ich weiß sehr gut, dass die ohnmacht gegenüber einem schwer alkoholkranken (oder psychisch gestörten) menschen alles überwiegt. da geht es irgendwann nur noch ums nackte überleben.

beschissen ist in unserer gesellschaft, dass alkoholismus nach wie vor tabuisiert und nur in seinen absolut grassesten ausuferungen wahrgenommen wird. die übergänge sind allerdings fließend, und jeder mensch steht mehr oder weniger schnell am rande des abgrunds.


bon.

Lange-Weile - 26. Jan, 16:54

komplexe Vorgänge

Hallo Bon,

ja..so aus der Nähe die Alkoholkrankheit mitzuerleben, ist was anderes, als sie nur aus der Ferne zu sehen.

Mein Partner gehörte eher zu den Quartalstrinkern, er konnte wochenlang ohne auskommen, ohne dass er einen Entzug spürte.

Eigentlich war es nur ein Test, den wir gemeinsam angingen. Ich hatte in einem Bericht gehört, dass man 6 Wochen keinen Alkohol trinken sollte um sich selber darüber klar zu werden, ob eine Abhängigkeit besteht.

Er trank also nicht mehr und nach 4 Wochen kam der Zusammenbruch. Er trank in kurzer Zeit 1 oder 2 große Flaschen Alkohol.

Er beschrieb mir den Kampf, der dem vorweg ging.

Die Flasche kaufte er heimlich und umkreiste sie mehr als 1 Stunde. Aufmachen oder geschlossen lassen. Das war der innere Kampf, doch dann siegte der Brückensatz "Nur einen Schluck" Der erste Schluck löste in ihm ein unbeschreibliches Glücksgefühl aus, so als wäre er nach langer eiskalter Reise endlich heimgekommen. Aus Freude darüber nahm er den zweiten Schluck und dann kam eine knallharte Ernüchterung "Ich hab´s wieder getan" und Selbstvorwürfe, schlechtes Gewissen und Scham überlagerten sich bis zur Unerträglichkeit. So tat er das, was er immer tat, wenn etwas für ihn unerträglich schien - er tank sich den Druck von der Seele, der seinen Ursprung nicht im Entzug hatte, sondern er lag tiefer, viel weiter zurück und reichte bis in seine Jugend.

Für sich selbst stellte er fest, dass er seit seinem 16 Lebensjahr ein Problem mit Alkohol hatte. Er selbst erlebte seinen Vater im Delirium und wurde dadurch seelisch sehr stark erschüttert. Sein Vater nahm sich deshalb das Leben, er warf sich vor einen Zug und beendete damit für sich die Qual der Sucht. Damals war mein Partner 23 Jahre alt und wenn ich heut zurück blicke, dann kopierte er das Leben seines Vaters bis zur Vollendung.

Sein Vater fehlte ihm sehr, wahrscheinlich war er stärker in seinem Bann als in dem Bann seiner Mutter, von der er auch als Erwachsener sich nie lösen konnte und sie als Mutter ihn auch als Erwachsenen nie los lassen wollte. In ihr steckt bis heut ein Hang zum Klammern.

Als ich nach den vielen Entzugsanstrengungen erkannte, dass wir es allein nicht schaffen geriet alles aus den Fugen und die Rückfälle häuften sich. Die zermürbenden Selbstvorwürfe meines Partners zerstörten mehr und mehr seine Persönlichkeit und so stand ich vor einer Entscheidung. Unser Sohn stand am Anfang seines Lebens und ich hatte als Mutter nicht das Recht, meins seinem Vater zu opfern. Denn wer sollte für unseren Sohn sorgen, wenn der Vater es augenscheinlich nicht konnte? Als Mutter musste ich dafür Sorgen, dass das Kind heil in die Welt entlassen werden konnte.

Lange verfolgte mich das schlechte Gewissen, dass ich mich von meinem Partner trennte, als er mich scheinbar am meisten brauchte. Doch er wollte mich nur als Co-Abhängige an seiner Seite haben und damit war ich nicht einverstanden. Das gestand er mir später - er wollte mein Mitleid als Verbindung zwischen uns. Dieser Wunsch entsprang seinem Trinkerherz.

Über seine Alkoholsucht haben wir viel gesprochen, doch leider war sein Herz schon so sehr zermürbt, dass es ohne Alkohol nicht mehr ging.

Ich hoffe, ich hab ein paar Fragen beantworten können, die du mir gestellt hast.

ich wünsche dir noch eine schönen Woche

Gruß LaWe
bonanzaMARGOT - 26. Jan, 17:54

jeder fall ist anders gelagert. die mechanismen bei quartalstrinkern kenne ich nicht eyplizit. die unterteilung in alpha-, beta- und gamma- etc. trinkern ist nur der versuch, die trinkgewohnheiten zu klassifizieren. durch eine alkohol-langzeittherapie bin ich noch halbwegs bewandert in den begrifflichkeiten der alkoholkrankheit, auch habe ich die unterschiedlichsten suchtkranken männer und frauen mit ihren problemen und biografien kennengelernt. dramatisch wird die sucht, wenn der suchtkranke "unbedingt" auf das suchtmittel angewiesen ist, also ohne dieses seinen normalen alltag nicht bewerkstelligen kann, oder ohne den "stoff" gefahr laüft, heftige entzugssymptome aushalten zu müssen oder krampfanfälle zu bekommen - oder in ein delir zu fallen. der sogenannte gewohnheitstrinker, der streng genommen (medizinisch) auch zu den alkoholikern gehört, trinkt meist nur die niedrigprozentigen alkoholika wie bier und wein in noch übersichtlichen mengen - aber eben regelmäßig, z.b. täglich, mindestens wöchentlich (wochenende).
"harte", hochprozentike alkoholika nehmen vorallem die pegeltrinker zu sich, welche den alkohol wie eine medizin einnehmen, um für den alltag funktionstüchtig zu bleiben. aber auch die sogenannten quartalstrinker besaufen sich in ihrer trinkphase oft bis zur besinnungslosigkeit mit harten sachen. ich kannte allerdings von dieser sorte nur einen persönlich. mir erschien seine alkohlokrankheit ähnlich wie die phasen eines manisch deppressiven. wenn er auf dem tripp war, flippte er völlig aus und stellte allerhand blödsinn an.
als alki ist man chronisch krank und sein leben lang rückfall-gefährdet. diese 6 wochen bewährungsprobe ist quatsch. ich war damals inclusive therapiezeit ca. ein halbes jahr trocken ...
der alkoholentzug ist in 2-3 wochen zu bewerkstelligen, am besten klinisch, aber dadurch wird lediglich der körper entgiftet, nicht aber die "seele" entwöhnt.

wenn ein trinker wie dein mann am alkohol zugrunde geht, muss er schon sehr ordentlich zur flasche gegriffen haben. ich sagte ja bereits, dass in unserer gesellschaft vieles zu diesem thema beschönigt wird - oder man schaut weg.
die frage "wieviel trinkst du?" wird selten ehrlich beantwortet.

wenn du so willst, sind wir alle co-alkoholiker, solange der alkohol frei verkäuflich in den regalen der supermärkte steht, solange auf jedem fest und jeder feier selbstverständlich alkohol getrunken wird, solange trinkfestigkeit als besonders männlich/cool angesehen wird, solange politiker in bierzelten symbolisch das fass anstechen ...

prost!
es tut mir leid, dass du solch schlechte erfahrungen gemacht hast.
Lange-Weile - 27. Jan, 17:24

Nicht mehr mit aber auch nicht ohne

Hallo Bon,

du hast es auf den Punkt gebracht.

Den Tag zu bewältigen ging nicht mehr ohne Stoff, doch es kam noch eine andere Komponente dazu: "Ich kann nicht mehr ohne, aber ich kann auch nicht mehr mit" so hatte mein Partner seine Situation geschildert. Sie zeigt den für ihn fast unlösbaren Konflikt.

Manisch depressiv passt auch wie die Faust auf´s Auge. Sie verschon ihn mitunter stündlich von Himmelhoch jauchzend zu Tief betrübt und wieder zurück. Durch das Tal der Tiefbetrübten kam er nur mit dem Antriebsstoff aus der Flasche, bis letzt endlich das Kampf zwischen den gegensätzlichen Stimmungslagen den gesamten Tag und damit das Leben komplett in Beschlag nahm.

Ein bekannter Trinker ist Jackie Schwarz, er hält sich schon seit Jahren trocken, sicher kein einfaches Leben, denn täglich lauert der Absturz.

Deshalb denke ich, dass ein Trinker mehr Kraft zu leben braucht, als der normale Mensch.

Ich hatte als Raucher auch meine Probleme mit dem Entzug, die so gewaltig waren, dass ich außer Zigaretten nichts mehr sah. Es war, als hätte das Nikotin eine Gehirnwäsche in meinen Kopf durchgeführt. Alle Gedanken verändern sich je nach der Seite, auf der ich stand.

Mein Partner starb an einem Herzinfarkt. Nach tagelangem Verschwinden tauchte er plötzlich wieder auf und starb in den Armen seiner Mutter. Sein Sohn lag nur ein Zimmer weiter und schlief.

Ich hoffe, ihn wird es besser treffen. Jedoch hat auch er - heut 19 Jahre - ein Problem mit Alkohol, aber auf einer ganz anderen Weise. Nur ein paar Monate, nach dem sein Vater starb, bekam er seinen ersten epileptischen Anfall.darunter leidet er noch heut. Und immer wenn er wie seine Kumpels kräftig einen trinken will, dann kann er davon ausgehen, dass der nächste Anfall nicht weit ist. Für ihn lebensgefährlich, denn er weiß nicht, wann ihn der Anfall trifft.

Es ist sehr spannend, sich mit dir zu unterhalten ..bzw. zuschreiben :-).

Gruß LaWe
bonanzaMARGOT - 27. Jan, 21:49

spannend ist es, weil das thema, obwohl niederschmetternd, ziemlich spannend/komplex ist und uns viel über das wesen mensch sagt - in seinem ganzen facettenreichtum: mit seinen ängsten, süchten und seiner verzweiflung, überhaupt am leben zu sein, sich gegen konventionen auflehnend, letzlich mit sich selbst hadernd.
seit einem vierteljahrhundert beschäftige ich mich damit als direktbetroffener alkoholkranker. meine eigene sucht ist ... mir aber trotzdem rätselhaft. ich kann mich unmöglich selbst therapieren. ich hoffe aber weiterhin auf die große innere kraft, die mich den kampf mit mir (und dem alkohol) nicht aufgeben läßt.

morgen schreibe ich gerne etwas präziser auf deine antwort.

lieben gruß
bon.
bonanzaMARGOT - 28. Jan, 11:54

guten morgen lawe, es ist nicht einfach als suchtkranker sein leben zu bewerkstelligen. der suchtstoff nimmt einem viel energie und lauert stets im hintergrund bzw. im hinterkopf. es ist wirklich eine art gehirnwäsche, die man entweder ignoriert, indem man seine problematik leugnet; oder die man sich schönredet, kleinredet ... man will sich nicht ständig deutlich machen, dass man am rande des abgrunds wandelt. außerdem trinkt ja die hälfte der bevölkerung, oder nicht? ja, man kann sich gerade die alkoholsucht auch "wegrelativieren", was sie besonders heimtückisch macht. als ich als jugendlicher mit dem trinken begann, verharmlosten die erwachsenen mein alkoholproblem - es ist ganz normal, dass die kids auf partys etwas über den durst trinken, in unserer jugend feierten wir auch kräftig - wehe aber, wenn sie einen beim kiffen erwischten! in unserer gesellschaft existiert eine große doppelmoral zum thema alkohol.
du wirst mit deinem sohn schon über das thema geredet haben. es ist schwer, einem jungen menschen das risiko, welches er mit dem regelmäßigen und/oder exzessiven alkoholtrinken eingeht, richtig bewußt zu machen. in jungen jahren ist man ein wunderbarer verdrängungskünstler - man will hauptsächlich spaß, will mitmachen, will die sau rauslassen ... ich war ein besonders hartnäckiger fall: sogar als ich mir alkoholbedingt die finger verbrannt hatte (mit auto und zweirad), trank ich weiter - wahrscheinlich war es da schon zu spät.
gott sei dank sind aber nicht alle jugendliche so heftig drauf. bei vielen "wächst" sich die trinkerei aus. ich hoffe, dass dein sohn über mehr restvernunft als ich verfügt.

oft muß man als alkoholiker/schwer suchtkranker direkt am abgrund stehen, um einsichtig zu werden und hilfe anzunehmen - sich langsam wieder aus dem sumpf hochzuziehen, um dann mit eiserner willensstärke fortan ein trockenes leben zu führen. dein mann wäre vielleicht an dem punkt gewesen (er kann nicht mit, aber auch nicht ohne leben). vielleicht hätter er es wie ein jackie schwarz schaffen können. es ist traurig ... und beängstigend.
Lange-Weile - 1. Feb, 16:59

Was ist Leere und warum erträgst sie sich so schwer ?

Hallo Bonanzamargot,

rätselhafter Name - hat was von Frau und amerikanischer Gegend in der Freiheit von Weite.

Ebenso rätselhaft, wie die Sucht, von der du schreibst. Sucht liegt ja außerhalb der eigenen Kontrolle - doch frag ich mich, wann ist alles außer Kontrolle geraten und warum?

Hat es was mit persönlicher Schwäche zu tun oder ist es die Unfähigkeit, sich von etwas zu trennen?

Vielleicht von den mit der Sucht zermürbenden Gedanken, die ja fast das gesamte Gedankenvolumen ausfüllen können?

Ist es die Angst von der Leere, wenn diese aufreibenden Gedanken nicht mehr da sind?

Und wenn erst die Leere kommt - warum lässt Leere sich sich überhaupt so schwer ertragen ?

Gesetzt den Fall - du wirst während einer Auslandsreise gekiddnapt und muß Monate in einem Lager fristen, ohne Zuwendung und Alkohol? Was wird dein Körper mit dir veranstalten - wird es überhaut erträglich sein? Was kann man dem Körper als Alternative anbieten? Oder findet zwangsläufig eine Abwicklung der Gehirnwäsche - aus der Erkenntnis heraus, das eine lange Durststrecke bevorsteht - statt?

Und was ist Spaß? Brauchen wir Spaß als dauerhaftes Lebensgefühl ?

Mein Partner wollte immer glücklich sein. Unser Dauerstreit lang in der Zeitfrage. Während ich an einen Glücksmoment glaubte und mit ihm auch zufrieden war, strebte er dem Dauerglück entgegen. Ich war der Meinung, dass Glücklichsein als Dauerzustand nicht gibt und der Glaube daran sowas wie Narrengold ist. "Du verstehst mich nicht" war stets die Antwort. Ich gebe zu, ich hab ihn nicht verstanden - ich sah nur, dass sein Streben nach Dauerglück ihn täglich unglücklicher werden lies und nicht nur das, es höhlte unsere Beziehung bis unter den Grund aus.

Eine spirituelle Lehrerin stand der Sucht neutraler gegenüber und sah darin eine Unausgewogenheit der Chakren. Dorthin,wo die Inder ihren Schönheitspunkt tragen, zieht sich ein großer Teil - zum Nachteil der anderen Chakren - die Lebensenergie zurück - dort sind die Visionen angesiedelt und vieles mehr, was im kreativen bereich liegt.

Ich erinnere mich, dass Steven King über seine eigene Alkoholsucht schrieb. Nachdem seine Frau seinen Suff nicht mehr mitmachen wollte und ihn die Pistole auf die Brust setzte, mußte er sich entscheiden. Diese Entscheidung war von einer großen Angst begleitet "Verliere ich mit der Trockenheit meine Kreativität?" In Shining setzt er sich mit seinem Alkoholismus auseinander. Er schrieb den Roman im Suff und konnte sich an die Schreibstunden nicht mehr erinnern.

Alkohol wurde auch zu DDR-Zeiten reichlich getrunken und es gab keine Feiern, ohne das der Alkohol kräftig sprudelte. Und auch heut gibt es nur wenige Anlässe, wo kein Alkohol getrunken wird. Aber entscheidend ist - so glaube ich - nicht das Trinken an sich, sondern, warum man trinkt.

Mein Sohn will seine Fahrerlaubnis machen. Dazu muss 2 oder gar 3 Jahre Anfallsfrei sein. Doch würde er trinken, wäre der nächste Anfall schon in naher Zukunft. Er muß sich mit klarem Kopf entscheiden, was er in Zukunft von seinem Leben erwartet. Die Neigung zur Abhängigkeiten steckt tief in den Wurzel seiner Familie väterlicher seits. Die meisten hingen entweder an der Flasche oder es gibt auch eine andere Abhängigkeit - die Tablette. Sie macht weniger Aufsehen.

Gruß LaWe

PS: In einem Seminar mit einer Qi Gong Meisterin erhielt ich noch andere interessante Hinweise, wie man dem Rätsel seiner Such auf die Spur kommen kann. Ich besorge mir den Link ihrer Internetseite und werde sie demnächst für dich hier hinterlegen.
bonanzaMARGOT - 2. Feb, 15:31

hallohallo,
ich glaube, dass jeder mensch seine eigene suchtgeschichte hat und damit auch anders gelagerte motive. freilich gibt es da, wenn die sucht sich bereits manifestierte, viele parallelen unter den betroffenen, die einfach mit dem teufelskreis der süchte zu tun haben und den damit einhergehenden verdrängungsmechanismen, sozialen problemen und verhaltensveränderungen.
ich fing nicht mit dem trinken an, weil ich nur spaß haben wollte. es war nicht das verdrängen der dunklen seite, der grübeleien ... aber natürlich verdrängte ich gewisse zukunftsängste, und außerdem diente das trinken als frustventil und auch eine zeit lang als männlichkeitsgebaren - so gesehen eine pubertäre erscheinung. ich hatte mich als persönlichkeit noch nicht vollständig emanzipiert. na ja, aber wer hat das schon? - und deswegen trinkt schließlich nicht jeder. darum bin ich der auffassung, dass eine genetische disposition bei der suchterkrankung eine rolle spielt, wie ebenso traumatische kindheitserfahrungen einer suchtkarriere dienlich sind. die mischung macht es schließlich, um diesen teuflischen eintopf für einen menschen zusammen zu rühren.
über die jahrzehnte änderte sich mein sucht-(trink)verhalten. ich wurde ruhiger und auch abgeklärter. somit habe ich für mich die hoffnung, dass ich mit meiner alkoholsucht halbwegs gesittet durchs leben komme. wichtig ist, dass man mit sich zufrieden ist und ängste nicht zu sehr verdrängt. letzlich ist ein gesundes selbstbewußtsein das a und o, mit seinen schwächen klar zu kommen und nicht daran kaputt zu gehen.
jeder mensch hat seinen weg vor sich - patentlösungen gibt es weder für "normale" menschen noch für suchtkranke. man muss sein leben selbst in die hand nehmen und rechenschaft für sein verhalten ablegen. ich weiß, dass man leider im dunkel das licht nicht mehr oder sehr schwer findet. deswegen muss man sich auch mal führen lassen.

lieben gruß
bon.
Lange-Weile - 3. Feb, 16:59

zu Tode langweilen

Hallo Bo..,
wenn ich zurück blicke, gab es Zeiten, da hat es mir auch ganz gut geschmeckt und es gab kaum ein geselliger Anlass ohne Alkohol. Zum einen enthemmte es mich - d.h. ich hatte Hemmungen mich so zu zeigen, wie ich wirklich bin. Ich zeigte allen das Gesicht, was sie von mir sehen wollten. Später trank ich Alkohol, weil ich mich auf die diese Weise entspannen und meinen Träumen folgen konnte. Das war die Zeit, als ich schon ohne geselligen Anlass und allein Alkohol für mich allein entdeckte.

Dann kam ein Moment in mein Bewusstsein - mein erster Blick im Supermarkt galt dem Schnapsregal - der von der Angst geprägt war "Bin ich etwa schon abhängig?" Dieser erschreckende Moment reichte für mich aus, nicht mehr unkritisch meinem Alkoholkonsum gegenüber zu stehen. Zu meinem Glück kippte der Zustand der Gradwanderung nie ins Negative.

Doch das allein konnte den inneren Zwiespalt in mir nicht auflösen. Irgendwann später erkannte ich den Grund für meinen inneren Zwiespalt. Ich hatte mit den Jahren verlernt - ich selbst zu sein und wer ich war, dass wusste ich nicht. Die Suche danach prägte mein Leben in den letzten Jahren. Sie war geprägt vom loslassen unsinniger Verhaltensmechanismen und Akzeptanz persönlicher Schwächen. Diese Prägung fand jedoch nicht im Kopf statt, sondern auf der Kampfsportmatte. Das fast tägliche Training zwang mich, mich mit mir selbst auseinander zusetzen, ohne jemand anders mit in die Verantwortung zu nehmen, d.h. die äußeren Umstände sind wie sie sind und können nicht der Grund für meinen Zwiespalt sein.

Im Fernsehen sah ich einem Bericht über die Eskimos. Starke Männer, die in der Vergangenheit für ihre Familie kämpferisch sorgen konnten. Doch mit der Zivilisation wurde ihnen die Versorgungsfähigkeit für die Familie genommen. Sie waren nun keine einsame Helden mehr, sondern oft arbeitslose nutzlose Menschen der Gesellschaft geworden. Die Zivilisation, so wie sie heut in den Industrieländern besteht, hat sie ausgehöhlt und zu Trinkern gemacht. Vielleicht gelingt es ihren Kindern und deren Kindern und wieder deren Kindern die Integration in uns Welt besser, als ihren Vorfahren.

Ähnlich soll es den Indianern gegangen sein.

Was will ich damit sagen?

Der Mensch langweilt sich in unserer fortschrittlichen Gesellschaft zu Tode. Es gibt keine wahren Überlebenskämpfe mehr, wie sie die Natur von uns verlangt. Wir sind ja erdgebundene Wesen und haben uns doch schon lange von ihr gelöst, schweben wie Ballons über ihr. Unser Leben findet mitunter sogar im Internet statt, statt draußen vor der Tür, wo wir der gewaltigen Natur schon lange nicht mehr gewachsen sind.

Es gibt keine wahren Abenteuer mehr. Nur doch das Zerren an den Finanzen prägt unser Leben. Obwohl die Währung als harte Währung bezeichnet wird, rinnt sie wie Wasser durch die Finger. Jeder Kampf mit ihr sieht aus, wie der Kampf gegen Windmühlen, wie Don Quijote es eins tat, wollen wir uns wehren. Ohne Aussicht auf ein Ergebnis, das uns wieder zur Erde zurück bringt, macht der Mensch weiter und weiter und weiter und weiter, als sei er in einem Hamsterrad gefangen, bis es ihn eines Tages besoffen macht. Aber immer noch besser, als sich zu Tode langweilen...

Gruß LaWe

PS: das waren nur ein paar Gedanken, wie sich einer aus dem anderen ergibt. Sie sind wie Türen die sich öffnen um den Zugang zu weiteren zahlreichen Türen zu gewähren...
bonanzaMARGOT - 9. Feb, 12:32

es ist natürlich schwieriger, seinen alltag selbst halbwegs sinnvoll auszufüllen, als in einem vorgegebenen trott und überlebenskampf zu stecken. bestimmt besteht auch ein zusammenhang z.b. zwischen arbeitslosigkeit und zunehmendem alkoholismus.
aber langeweile, frustration, sinnleere sind nur ein komplex, warum man unter umständen vermehrt zur flasche greift. es gibt viele menschen, die sich gerade wegen des ständigen überlebenskampfes und des damit verbundenen trotts mit alkohol betäuben. ich würde sagen, dass alle macho-kulturen empfänglich für den alkohol sind. es ist eine frage der verfügbarkeit. kommt man an das zeug nicht ran, kann man es auch nicht konsumieren. bei indianern, eskimos und naturvölkern, die entwurzelt, gedemütigt und diskriminiert wurden, kommt so einiges zusammen. mit dem alkohol kann man die unterschiedlichsten defizite kompensieren - zumindest glaubt man das eine zeit lang.
die heutige zivilisation ist tatsächlich auf eine subtile art von verblödung angelegt. und ich glaube wie du, dass das etwas mit der entfremdung des menschen von der natur (und der erde) zu tun hat. witzig ist dabei, dass der mensch ja glaubt, immer gescheiter zu werden - weil er so furchtbar modern und wissend ist. wir leben schon lange in einem geflecht von selbstlügen ... wie du es sagst: eigentlich leben wir gar nicht mehr auf der erde, sondern irgendwie abgehoben in einer fiktiven eigenen wirklichkeit wie in einem kokon aus technik, medien, konsum und mobilität.
der alkohol ist dabei nur eine lüge mehr ... um den anderen scheiß lügen zu entkommen. klappt aber nicht.

gruß
bon.
Lange-Weile - 11. Feb, 14:30

Rückzug - doch wohin?

Hallo Bon.,

die Kommentare zum Thema Alkohol zeigt die zahlreichen Facetten der Sucht, die ja an sich als Geißel der Menschen angesehen wird.

So zahlreich wie die Gründe der Sucht so zahlreich sind auch die Begründungen jedes Betroffenen, warum er z.B. trinkt, ob es der wahre Grund dafür ist, bleibt oft trotzdem im Dunkeln, auch für den Betroffenen.

Doch sehe ich einen generalmäßigen roten Faden auf den Weg zur Trinksucht. Wenn die ersten Schlucke nur entspannen, ermöglichen die nächsten schon den Rückzug aus der Realität. Der graue Alltag, der unerträglich ohne Aufmunterung erscheint. Nach der Entspannung fühlt sich alles nicht mehr so schlimm an und die eigenen Kräfte scheinen wieder ausreichend sein und im höheren Stadium der Berauschtheit kommt der Größenwahn.

Und damit komme ich zum nächsten Reizwort der Gesellschaft - der WAHN und mit ihm der Jugend-, der Erfolgs- oder der Schlankeitheitswahn und sie alle sind eng mit der Sucht verflochten.

Der Philosoph Sam Keen setzt sich mit all den Erscheinungen der Neuzeit auseinander und kommt dabei immer wieder zu dem selben Schluß "Es lohnt sich nur der Weg nach innen".

Gruß LaWe
bonanzaMARGOT - 11. Feb, 14:54

ja, die parallele zwischen einer gesellschaft im wahn von erfolg, schönheit, kraft und jugend und der suchterkrankung sehe ich auch. der nährboden der heutigen modernen zivilisation für sucht in den mannigfaltigsten ausartungen ist äußerst günstig. der alkohol nimmt durch seine (trink-)geschichte/tradition und seine freie verfügbarkeit in der hiesigen kultur eine besonders zentrale rolle ein.
mit dem rauchen ist es ähnlich. die psychologische abhängigkeit kann sehr groß sein - ein faust`scher pakt.

Trackback URL:
https://langeweile.twoday.net/stories/5469429/modTrackback

In den Wind geschrieben

hat Tränen aus dem Haus getrieben

alles muss raus

Test
Test und das war es auch schon
Lange-Weile - 16. Aug, 14:56
vermüllt bis zum...
Als braver Bürger trenne ich den Müll sorgsam, so wie...
Lange-Weile - 20. Aug, 13:27
Nostalgische Erinnerung
Als ich Federhalter, Feder sowie das kleine Tintenfass...
Lange-Weile - 14. Aug, 14:25
Für alle Sushi Friends
Beeindruckender Film, auf jeden Fall sehenswert. Hat...
sushi-friends - 11. Apr, 14:40
Hallo Lo.
..ja ich denke, er hätte sich gefreut, auch wenn mein...
Lange-Weile - 20. Aug, 08:50

Das Neuste von

Hallo ;-)

meine Randbemerkungen

Achja...
das wusste ich gar nicht. Diese Art feinsinnigen Humor...
abendGLUECK - 5. Mai, 09:48
wie makaber ;-) Bei...
wie makaber ;-) Bei uns wurde es ähnlich, aber anders...
abendGLUECK - 4. Mai, 08:13
Gegenmittel
Hallo Bo., gestern las ich über eine amerikanische...
abendGLUECK - 25. Apr, 11:03

Abendstimmung

Suche

 

Wer bist du?

Online seit 6904 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 16. Aug, 14:56

Albtraum
Alter Schwede
Betrachtung
Experiment
Fragen
Glücksliste
Kurzmitteilung
Musik
Nachklang
Rätsel
Spaß Ecke
Stadtbilder
Stöckchen
Tage im Fluss
Traumzeit
Witzecke
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren