zerplatzte Illusion
Vor ein paar Tagen wurde er 18 Jahre alt. Hier ein kleiner Bilderreigen seiner Jahre von damals bis heut
Mein Sohn, hineingeboren in die Zeit der auf Hochtouren laufenden Revolution. Nach der Entbindung lag ich noch ein paar Tage in der Klinik und konnte mich auf das Neugeborene gar nicht so richtig konzentrieren. Mehrere male rief ich mir in Erinnerung "Du hast grade einen Sohn geboren" doch dann rasten die Gedanken schon in die zerissene Welt, die draußen tobte und auch unter den Müttern DAS Thema war. Jeder beschrieb das bisher geführte Leben aus seiner Sicht. Doch sie alle fühlten sich verbunden über den Wunsch, die Parteiführung des Landes endlich abzuschaffen.
Das war die Zeit, in der ich Menschen, die ich gut zu kennen glaubte, nicht wieder erkannte. Die Inhalte ihrer geschwungenen Reden hatten sich grundlegend geändert. Später nannte man sie Wendehälse. Ich erkannte zum ersten mal in meinem Leben, dass es Menschen gab, die ihre Fahnen in Richtung der Macht ausrichten.
Die lllusion, das Menschen auf ewigen Zeiten auch das sind, was sie der Welt glauben machen wollten, zerplatzte. Die Vorreiter der alten Macht wurden zu ihren Stürmern. In mir zerbrach mein Glaube an die Ehrlichkeit und Authenzität der Menschen, die ich bis dato als revolutionäre Geister des Sozialismus kannte. Ich glaube, das war für mich damals die größte Erschütterung.
Als ich am 9.November 1989 mit einem 5 Tage alten Baby im Arm aus der Klinik kam, erlebte ich eine neue Erschütterung und damit ging ich mit der Stimmung im Lande nicht konform.
"Komm mal her und guckt dir dies an" rief der Vater meines Sohnes damals aus dem Wohnzimmer. Ich kam und sah im Fernsehen, wie die Menschen über die Mauer stiegen. Fassunglos stand ich davor und hielt meine Baby fest. Nie habe ich an´s auswandern gedacht, nie in Erwägung gezogen das Land, meine Heimat zu verlassen. Deshalb konnte ich damals nicht verstehen, warum díe Menschen ihrer Heimat einfach verlassen konnten.
Obwohl die Menschen über die Mauer von Ost nach West stiegen, hatte ich das Gefühl, sie drängen sich alle in mein Wohnzimmer, in meinen geschützen Raum. Ich fühlte mich von ihnen überrollt und bedrängt und zog mich mit meinem Baby wieder ins Schlafzimmer zurück.
Heut ist mein Baby 18 Jahre alt und die Ereignisse von damals liegen lange zurück. Unser Leben bekam ich wieder in geregelte Bahnen, auch wenn die Übergänge nicht einfach waren. Wir haben unseren Platz in der Gesellschaft gefunden und die Wehmut nach alten Zeiten schon lange abgelegt. Sie hätte unseren Weg in die neue fremde Gesellschaft nur in den Weg gestanden.
Von Lichtspiel |
Habe mir erlaubt, hier http://opablog.twoday.net/stories/4433793/
zu verlinken.
Das "Ablegen der Wehmut" haben wir trainiert, doch wenn ich Bilder dieser Ruinen sehe, hier:
http://arboretum.blogger.de/stories/963304/
die einmal das schöne Kirowwerk waren, dann schäme ich mich meines Schmerzes nicht.
Desillusion auf beiden Seiten
danke für die Verlinkung meines Beitrages.
Der 18. Geburtstag meines Sohnes und die Erinnerung an den 9.Nov. vor 18 Jahren - Der "Spiegel" widmete den am 9.11.89 Geborenen einem Hauptthema in der letzten Wochenausgabe.
Was damls in mir vorging, war viel komplexer, denn der Prozeß der Desillusion ist schmerzvoll und von klammern an Vertrauten bestimmt.
Damals mußte ich mit allen Bürgern in die Fremde ziehen, ob ich wollte oder nicht. Doch ich habe im tiefsten Inneren eine stark ausgeprägte demokratische Gesinnung und damit war die Welt für mich wieder in Ordnung.
Heut hat uns die neue Gesellschaft auch mit ihren Schattenseiten erreicht. Besorgt verfolge ich die Entwicklung der Jungendlichen, die sich den Anforderungen der Leistungsgesellschaft nicht stellen können oder wollen.
Und ich sehe, wie die "Alten" Kraft Gesetz abgeschoben werden. Wer im Alter - ab 50 - seinen Job verliert, hat nicht mehr viel zu lachen. Kaum wenig Aussicht auf einen neuen Job und findet sich schnell bei Hartz IV wieder um dann - zum 60igesten - an die Rente abgeschoben zu werden. Aber nicht, ohne den 18%igen Abschlag auf seine schon wegen der Arbeitslosigkeit nur schwach eingezahlte Rente.
Als mir diese Gleitschiene für die "Alten" bewußt wurde, packte mich für einen kurzen Moment die nackte Angst - ALTERSARMUT ist für Ottonormalverbraucher näher, als man denkt.
Dir noch einen schönen Restsonntag
Gruß LaWe