Untier

Das Untier sah wie ein brauner Biber aus. Die scharfen Zähne fallen aus dem Rahmen und sind immer bereit, sich in irgend etwas rein zu rammen.  Ein plötzliches Ereignis – sowas wie eine kleine Explosion – reißt ihm den Kopf ab. Ich bin erleichtert, denn ich wollte es nicht in meiner Nähe haben und schon gar nicht anschauen. Es löste Unbehagen bei mir aus. Das plötzliche Ereignis hat alles in Nebel versenkt. Als sich der Staub gelegt hatte, erkenne ich das Untier wieder – ein  leblosen brauner kopfloser Körper. Die Explosion hat den Kopf des Untiers abgerissen und der Rest des Körpers ist nicht mehr lebensfähig.

Oder doch noch ?

Das Untier erhebt sich auch ohne Kopf, bewegt sich auch ohne Kopf weiter. Es flüchtet vor mir, denn ich will es fassen. Doch ohne Kopf flutscht es durch meine Hand und schafft es aus meiner Reichweite. Während seiner Flucht wächst der Kopf nach und zuletzt die langen gelben Zähe, die aus dem Maul ragen. Es springt in einen gläsernen Käfig, der sich – bevor ich es ergreifen kann – hermetisch verschließt. Das Untier kann nicht raus und ich nicht rein greifen, es wächst in kürzester Zeit nach und passt grad noch so in seine gläserne Zuflucht. Sein Fell drückt sich an der Scheibe, die ist zum zerbersten gespannt. Stillstand tritt ein und ich erwache erschreckt und angeekelt aus meinem Traum.

Diesen Traum hatte sich unmittelbar nach einen Anfall von Sohnemann eingestellt. Tags zuvor saßen wir zusammen am Tisch und unterhielten uns, wie immer über Gott und die Welt. Plötzlich flog eine Tasche vom Tisch und der Teller folgte. Ich fand den Spaß von Sohnemann etwas übertreiben, so mitten Im Satz sich über den Tisch zu werfen. Im nächsten Moment sah ich, Sohnemann krampft und der Tisch hinderte ihm am Absturz. bestürzt sprang ich auf und zog ihn an den Hüften auf den Boden, damit der Körper genügend Ram hatte.

Mutter besonnen und Mutter in Panik.

Es ist für mich immer wieder  furchtbar mein Kind so da liegen zu sehen. In solchen Momenten scheint die Zeit still zu stehen, deshalb ich laufe in der Wohnung umher, bis ich das Telefon finde. Noch ein paar Minuten löst sich der Krampf und Sohnemann atmet wieder. Zwar schaufend und doch er kommt wieder zu sich zurück.

Mein Traum vom Untier im Glaskasten war der nachhaltige Eindruck und symbolisierte mir aber auch, das die Gefahr immer präsent ist. Es bedarf nur wenig Druck und der Glaskasten zerspringt und das Untier tritt wieder ins Freie.

“Pass auf dich auf”

bitte ich Sohnemann, wenn er wieder seiner jugendlichen Abenteuerlust nachgehen will. Die letzte Erschütterung liegt mir noch mental in den Knochen.

“Pass auf dich auf” geb ich hm noch auf den Weg. als er am Freitagabend mit einem schweren Rucksack auf die Piste zieht. Zufällig haben 2 seiner Freunde mit ihm Geburtstag. Sie werden 20 und 21 – wie Sohnemann – Jahre alt und da ist Tortenessen mit Mutter nicht mehr auf dem Programm. Der Rucksack ist beladen mit schöngeistigen Getränken. “Vergiss nicht, du hast keinen Schutz. Höchstes ein oder zwei Bier, der Rest ist für die anderen” . “Klar” beruhigt mich Sohnemann. Ich kann verstehen, dass er einen drauf machen möchtet, doch er muss sich zurück halten. Besorgt schaue ich ich ihm nach, als er in Feierlaune in die Nacht zieht.

Als ich nachts aufwache, sehe ich, Sohnemann ist nicht da. Aufkommende Sorgen verdränge ich mit logischen Argumenten Er wird bei den Freunden schlafen. Doch meine Unruhe lässt sich nur schwer im Zaume halten. Zum Glück schlaf ich darüber doch noch ein und träume - träume bedrückend über eine Bahnreise.

Diesmal sitz nicht im Zug, sondern in der Lok beim Lokführer. Die Lok nimmt rasant ihre Reise auf. Durch Wiesen, über Berge und Täler. Den nächsten Berg schafft die Lok nicht, die Steigung ist zu hochprozentig und sie hat keine Zahnräder, an denen sie sich hochziehen könnte. Deshalb durchfährt die Lok den Berg durch einen engen Tunnel. Sie passt grad so durch,  kann weiter bei ihrem Tempo bleiben. Trotzdem kommt Unbehagen bei mir auf, die Wände des Tunnels nähern sich der Lok – von der Seite und von oben – nur noch wenig Freiraum. Der Tunnel wird bedrohlich eng und löst Beklemmungen bei mir aus. Die Lok wird vom Lokfahrer nicht gebremst, er ist zuversichtlich. Sein Blick sagt mir: “Es klappt schon” und dämpft mein Unbehagen. Wir  bleiben auf voller Fahrt und die Wände des Tunnels kommen weiter näher, ich sehe keine Öffnung im Fluchtpunkt vor mir.

Mit lauten Knirschen flieg ich in der Lok nach vorn, fast in die Frontscheibe. Die Lok wird abrupt von außen ausgebremst. Der Tunnel ist zu eng geworden, schien während der Fahrt sich doch verengt zu haben. Die Lok passt nicht mehr durch. Teile der Lok haben sich Gestein geschoben und Teile sind so verbogen, dass sie wie ein Widerhaken keinen Rückwärtsgang mehr zulassen. Die Lok ist im unregelmäßigen Tunnelgestein verkeilt. Die Türen lassen sich nicht mehr öffnen, sie haben sich  mit dem Aufprall verbogen und blockieren nicht nur deshalb. Die Tunnelwände drücken von außen an den Türen, verriegeln sie von außen “Wir stecken fest” offenbart mit der Lokführer. Er macht mir die Beklemmung deutlich  als ich mich mit Gewalt aus dem Schlaf reiße um mich kerzengarde in meinem Bett aufzurichten. Wenigsten dieser Fluchtpunkt ist für mich noch erreichbar. Meine Wachheit löst die Beklemmung wieder auf.

Im Gemüt erhitzt gehe ich ins Bad um mir den Schrecken aus dem Gesicht zu waschen. Dabei sehe ich die Schlüssel von Sohnemann am Schlüsselbrett. Er ist wieder zu Hause. Ich bin erleichtert und lege mich noch mal auf´s Ohr. Sicher war seine Nacht lang, schließlich wird man nicht alle Tage 21 Jahre. Sohnemann verschläft das Frühstück und über die Mittagszeit, erzählt mir im Halbschlaf, dass einer seine Freunde ihn in den Morgenstunden per Auto nach Haus gefahren habe.

Die Düfte aus der Küche locken Sohnemann aus dem Bett. Auch die Freunde stehen schon wieder vor der Tür. “Du brauchst jetzt Ruhe” ermahn ich ihn. Ich bin sicher, auf der Party gab es nur flüssige Nahrung. Das Zimmer von Sohnemann ist klein und die Jungs, die rein marschieren sind groß. Einer von ihnen muss sich sogar bücken, wenn er durch die Tür geht. Das Zimmer ist schnell verstopft. “Mach dir keine Sorgen” beruhigt Sohnemann mich. Doch irgendwie kann ich mich nicht ganz beruhigen. “Schick sie wieder nach Hause. Du brauchst Ruhe” “Die wollen nur zocken. Ich bleib dabei im Bett und gucke nur zu” zerstreut Sohnemann meine Bedenken. Widerstrebend überlass ich den Dingen ihren Lauf. Die Jungs bleiben im kleinen Zimmer und  die sich mit gemeinsamen Zocken den Rest des Nachmittags vertreiben wollen.

Ich will nicht schon wieder das Gras wachsen hören. mich von meinen Ängsten steuern lassen und lenk mich mit TV ab, während ein Kuchen im Herd noch vor sich her backt. Der Kuchen braucht nur noch 5 Minute, , dann kann ich ihm aus der Backröhre nehmen.

Plötzlich stürzen die Jungs aufgeregt aus dem Zimmer. "Jo…hat einen Anfall” kommen sie mir aufgelöst entgegen. Ich fühl mich in meinen Traum zurückversetzt, wie in der Lok, die mit einem plötzlichen Ruck stehen blieb. Statt an die Frontschiebe der Lok fliege ich ins Zimmer von Sohnemann. Wie versprochen ist er im Bett geblieben. Nun liegt er auf dem Bett und krampft. Wie fremd wirkt in solchen Momenten mein Sohn auf mich. Seine Seele ist so weit weg, dass ich laut schreien möchte. Im Krampf schiebt der Körper den Kopf zwischen Wand und Bettkante. Der Platz ist wie ein schmaler Graben und so eng, dass der Kopf sich dazwischen verkeilen könnte. Die schnaufenden Töne der Atmung kommen schon aus dem Graben. Ich ziehe Sohnemann an den Beinen zurück, doch sein Körper ist steif und schwer. Die Jungs stehen hilflos um mich rum. Ich kann nur mit Mühe meine Panik unterdrücken. Das Bettlaken ist am Kopfende blutig, doch der Kopf kann nicht mehr in den Graben rutschen. Nur ganz langsam löst sich der Krampf und die Jungs stehen immer noch hilflos um mich rum. Ich nutze diesen Moment für einen kleine Belehrung: “Jetzt wisst ihr, warum ich nicht möchte, das Jo. Alkohol trinkt. Es wird für ihn immer gefährlich” “Ja” antworten die Jungs, doch ich bin mir nicht sicher, dass sie es auch so meinen. Wieder einmal such ich nach dem Telefon und rufe mit zitterenden Händen nach den Sanitätern. Ich kann die Lage nicht kühl einschätzen, zu sehr bin ich emotional gestresst. Als sie Sanitäter wieder gehen, hol ich den Kuchen aus der Backröhre, er ist schwarz geworden. Sohnemann schläft tief und fest ein. Ich sehe mehrmals nach ihm, doch zum Glück kam kein Anfall dazu.

Heut war er bei seiner Ärztin. Die Medikation wurde erhöht,  damit kann die Anfallsgefahr besser kontrolliert werden. 

LaWe

bonanzaMARGOT - 10. Nov, 10:28

epilepsie ist eine scheußliche krankheit. die anfälle kommen überraschend und brutal. ja, irgendwie wie ein monster.
sohnemann kriegt davon nicht viel mit - erst danach, wenn er erschöpft wieder zu sich kommt. inzwischen ist er alt genug, sich mit seiner krankheit auseinanderzusetzen, mit den risiken, den ursachen, den symptomen, den medikamenten ...
dass du dir sorgen machst, verstehe ich gut. auf der anderen seite muss sohnemann irgendwann trotz der krankheit auf eigenen füßen stehen. statt in kreisen zu verkehren, wo viel und oft alkohol getrunken wird, sollte er lieber z.b. in einen sportverein gehen ...
aber was rede ich ..., schließlich hatte ich in diesem alter auch nichts anderes im kopf - als saufgelage und zocken mit den kumpels.
genaugenommen hast du es mit zwei monstern zu tun, lawe: die epilepsie und der alkohol. schwer zu sagen, welches davon fürchterlicher ist. sie ergänzen sich ganz gut.
wenn die jungen männer beruf und freundin haben, werden sie sittsamer. also, einige. ich gehörte zu den unverbesserlichen. dein sohn gehört hoffentlich zur vernünftigeren sorte.

manchmal kann man das unheil auf sich zukommen sehen - wie in dem tunneltraum - bis es unweigerlich eintrifft.
jedesmal ein unsanftes erwachen, aufgeregt und pochenden herzens. aber wieder überlebt. die angst bleibt.

Lange-Weile - 10. Nov, 23:22

Feierspaß

Hallo Bo.,

ich hoffe, dass die Lage sich jetzt entspannt. Das Medikament war zu niedrig dosiert - er wurde als 12 Jähriger eingestellt - und dass hat die Gefahr immer wieder raufbeschworen. Ich hoffe, dass der höhere Medikamentenspiegel mehr Sicherheit für Sohnemann bringt.

Solange ich noch mit in seiner "LOk" sitze, werde ich damit ja immer konfrontiert und muss mich damit auseinander setzen. Obwohl ich nicht gläubig bin, danke ich Gott, dass er sich bisher noch nichts ersthaftes getan hat - ich meine Knochen- oder Kopfmäßig.

Ich hoffe, dass Sohnemann bald eine Freundin anschleppt und der sittsame Effekt eintritt :-).

Auf der anderen Seite kann ich es ja auch verstehen - feiern ohne Ende. Wieviele Nächte hab ich in der Bar verbracht - bis in die Morgenstunden und anschließend übernächtigt und verkatert zur Arbeit geschleppt. Zum Glück hatten wir damals noch sozialistische Zustände und ich durfte mich in eine Arbeitsecke setzen und darauf warten, bist ich das schlimmste überstanden haben. Diese Stunden gingen nie ohne den Schwur : "Nie wieder" ab, doch der war bald wieder vergessen.

Ich hoffe ja, dass Sohnemann diese Phase bald hinter sich gebracht hat und sich anderen Dingen zuwenden kann, die ihn ähnlich wie ein Rausch "abheben" lassen.

Gruß LaWe

bonanzaMARGOT - 11. Nov, 10:57

hoffentlich taugt die ärztin deines sohnes was. offensichtlich war die medikamentöse neueinstellung überfällig.
ja, glück kann man in solchen kritischen lebenssituationen immer gebrauchen. und das wünsche ich deinem sohn weiterhin. und außerdem, dass der leichtsinn nicht überhand nimmt.
er bewegt sich als junger mann noch in einer wenig standfesten phase, wo er nach orientierungen sucht. leider kann man das schwer steuern. lebenswege fallen ganz unterschiedlich aus. alles zureden wird nichts bringen, denn sohnemann hat bestimmt seinen eigenen kopf.
du hattest, glaube ich, mal erzählt, dass er eine ausbildung macht(?) läuft das gut?
und was die mädels angeht - gibt es da welche in seinem bekanntenkreis? wenn sich junge männer zusammenreißen, dann für die mädels.

eltern können da nur auffangen. ich denke, du machst das ganz gut.
der nächste zug schafft es über den berg ...
Lange-Weile - 13. Nov, 17:33

Was die Zukunft bringt

Hallo Bo.,

leider hab ich keinen Vergleich zu anderen Ärztinnen und so nehm ich als gegeben hin, was meinem Sohn rät. Er selbst ist da auch schludering und hat schon zahlreiche Termine versemmelt. Die Schluderigkeit hat bei meinem Sohn vielleicht etwas von Vermeidung - der Wahrheit nicht in Auge schauen, das er krank ist.

Im letzten Jahr holte er den Schulabschluss nach, denn er regulär versäumte und will im nächsten Jahr nach Berlin auswandern. Deshalb schlägt er sich noch mit Hilfsjobs durch, die bei uns im Nordosten auch dünn gesät sind.

Die erwähnte Ausbildung im letzten Jahr war eine Trainerausbildung, die ihn aus seiner Isolation erst mal befreit hatte. Da treffen sich viele Menschen aus zahlreichen Berufen. Dort finden Jungs auch männliche Vorbilder, die im privaten Rahmen kaum zu finden sind.

Ich hoffe, das bald ein Mädel auftaucht. Das wird sein Leben auf jeden Fall bereichern :-).

Der letzte Anfall hat meinen Sohn zum Nacchdenken gebracht. Ich hoffe, dass er daraus für sich einen anderen Weg ableitet.

Ich wünsch dir noch ein schönes Wochenende

Gruß LaWe

Trackback URL:
https://langeweile.twoday.net/stories/8422323/modTrackback

In den Wind geschrieben

hat Tränen aus dem Haus getrieben

alles muss raus

vermüllt bis zum...
Als braver Bürger trenne ich den Müll sorgsam, so wie...
Lange-Weile - 20. Aug, 13:27
Nostalgische Erinnerung
Als ich Federhalter, Feder sowie das kleine Tintenfass...
Lange-Weile - 14. Aug, 14:25
Für alle Sushi Friends
Beeindruckender Film, auf jeden Fall sehenswert. Hat...
sushi-friends - 11. Apr, 14:40
Hallo Lo.
..ja ich denke, er hätte sich gefreut, auch wenn mein...
Lange-Weile - 20. Aug, 08:50
Ein schöner Nachruf...
Ein schöner Nachruf...
Lo - 19. Aug, 12:46

Das Neuste von

Hallo ;-)

meine Randbemerkungen

Achja...
das wusste ich gar nicht. Diese Art feinsinnigen Humor...
abendGLUECK - 5. Mai, 09:48
wie makaber ;-) Bei...
wie makaber ;-) Bei uns wurde es ähnlich, aber anders...
abendGLUECK - 4. Mai, 08:13
Gegenmittel
Hallo Bo., gestern las ich über eine amerikanische...
abendGLUECK - 25. Apr, 11:03

Abendstimmung

Suche

 

Wer bist du?

Online seit 6738 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Albtraum
Alter Schwede
Betrachtung
Experiment
Fragen
Glücksliste
Kurzmitteilung
Musik
Nachklang
Rätsel
Spaß Ecke
Stadtbilder
Stöckchen
Tage im Fluss
Traumzeit
Witzecke
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren