Macht der Fluchthormone

Manchmal ist alles ganz anders, obwohl es wie alt bekanntes aussieht. Nur diesmal liegt irgendetwas in der Luft, dass sich auf Anhieb nicht fassen lässt, was spürbar und doch nicht greifbar ist. Erst schwebt es über dem Kopf bis sich die Gedanken - verzweifelt nach des Rätsels Lösung suchend - im Kreise drehen. Dennoch, sie schaffen es manchmal nicht allein, das Äußerliche zu durch schauen um zum Kern der Wahrheit vorzudringen.

Die morgendliche Weckzeremonie unterscheidet sich nicht von denen der zurückliegenden Woche. Ein Kraftakt sich stets wiederholender mit dem Schweinehund meines Sohnes, die sich wie die Mäuse zu vermehren scheinen und es sich – getürmt vor seinem Bett – gemütlich machen. Doch dann in letzter Sekunde, endlich, der Durchbruch, das große Kind steht auf und kommt in die Gänge und nach dem Frühstück läuft jeder in seine Richtung und geht seinen Verpflichtungen nach.

So schien es auch vorletzten Freitag.

Nach ersten Training treffe ich zu einem Zwischenstopp schon am Vormittag wieder ein und so wie in der Geschichte, der Hase und der Igel, sagt eine kleinlaute Stimme zu mir: „Ich bin schon da“. „Das kann nicht sein. Du bist in der Schule“ wehre ich ab. Doch das was ich sehe, lässt sich nicht verleugnen. Mein Sohn, der eigentlich auf der Schulbank sitzt, steht leibhaftig vor mir und erzählt mir ein Geschichte, die sich gewaschen hat. „Das Auto meiner Lehrerin hat der Sturm platt gemacht, der Unterricht ist ausgefallen“

Von einer Sekunde zur anderen fühle ich mich wie „Zwei in Einem“ erschlagen und ratlos. Mit einem letzten großäugigen Blick auf mich zieht mein Sohn seinen Kopf ein um für den Rest des bevorstehenden Wochenendes aus meinem Blick und von der Bildfläche zu verschwinden.
„So ein Faultier, so ein Faultier, so ein Faultier, so ein Faultier, so ein Faultier“ es dreht sich eine Scheibe wie im Glückrad in meinem Kopf. Doch egal, an welchen Punkt das Rad hält, der Zeiger steht immer auf der selben Option „Faultier“ . Ich such nach anderen Optionen auf der Scheibe, doch es gibt keine andere.

Nach einem schlaflosen Wochenende taucht der verlorene Sohn – erschöpft und übermüdet – wieder auf und schläft nach dem Geständnis, die Schule geschwänzt zu haben, auf der Stelle ein.

Der Montag hat es in sich. Der Wecklärm steigert sich bis ins Unerträgliche und doch kann der Kraftakt eine Stunde Verspätung nicht aufhalten. Eine durchhängende Gestalt kommt aus dem Zimmer, schnallt sich den Rucksack mit dem Schulsachen auf den Rücken und zieht los, als müsste sie in den Krieg ziehen. Gnadenlos schiebe ich nach, damit ich die Wohnungstür schließen kann.

„Geschafft“ atme ich durch. Doch ohne ein ungutes Gefühl in Bauch kann ich den Tag nicht angehen. Mein erstes Training hab ich erst am frühen Nachmittag, ich hab noch Zeit, kann den Wochenanfang in Ruhe angehen und lehne mich zurück, erhole mich von der harten Weckrunde.

Es ist fast 11 Uhr, als sich leise ein Schlüssel in der Tür von außen dreht. Er ist wieder da, obwohl er auf der Schulbank sitzen sollte. Eine wankende Gestalt sagt beruhigend zu mir: „Mach dir keine Sorgen. Die Lehrer sind krank, der Unterricht ist ausgefallen“ und fällt ins Bett, versinkt augenblicklich in einen bewusstlosen Schlaf. Ich bin hypnotisiert, unfähig auf das, was ich sehe und denke zu , reagieren. Nur die Drehscheibe in meinem Kopf bleibt unaufhörlich in Bewegung. Egal an welchen Punkt sie stehen bleibt, wie zeigt mir nur eine Option an „Faultier – Faultier – Faultier – Faultier“ doch in muss los, Kinder warten auf ihr Training.

Abends, ich kehre heim, da liegt ein Zettel für mich bereit „Bin weg. Mach dir keine Sorgen. Die Schule fällten morgen aus – Sturmwarnung“ Kaum zu glauben, die Hypnose hält an, doch die Drehscheibe in meinem Kopf zeigt unaufhörlich an „Faultier – Faultier – Faultier“ Doch heut ist sie anders als Tags zuvor. Sie zeigt Zusätze - Abgründe, tief und weit und sind kaum zu überschauen, doch eines haben sie alle gemeinsam, die Botschaft „verlorener Sohn“.

Nach einer Gedanken-zermürbenden Nacht dringt eine Realität in mein Bewusstsein „Du hast deinen Sohn verloren. Er zieht Leine ins Ungewissen der dunklen Brücken, unter der er sein Leben verbringen will“, dann muss ich schon zur Arbeit, die Kleinen warten auf ihr Training.
Doch bevor ich die Wohnung verlasse, dreht sich ein Schlüssel von außen an der Wohnungstür. Das Kommen und Gehen reicht für einen großäugigen Blick meines Sohnes, der wissen will, ob die Hypnose bei mir noch wirkt. Sie wirkt, äußerlich zeigt sie meine Ratlosigkeit, doch innerlich kann sie die sich immer hektisch drehende Drehscheibe nicht halten, die jetzt wie ein Sog jeden meiner aufkommenden Gedanken in sich aufsaugt.

Das Training mit dem Kleinen lenkt mich für kurze Zeit von meinen rotierenden Gedanken ab, ich konzentriere mich auf das was ich tue. Nach dem Training muss alles schnell gehen, denn die großen Kinder der Nachbarschule warten schon vor der Tür. Ihr Sportlehrer ist auch schon da und wir gehen selten auseinander, ohne ein paar Worte zu wechseln.
Wir sind alte Bekannte, mein Sohn hatte ihn vor Jahren als Sportlehrer. Zu bedrückend war die aktuelle Situation mit meinem Sohn und ohne es zu merken, hatte ich ihm schon über die Undurchsichtigkeit meines Sohnes berichtet.

„Ich welcher Klasse ist er grad?“ fragt er.

„10 Klasse“ antworte ich.

„Dann beginnen jetzt die Prüfungsvorbereitungen“

„Ja“ antworte ich ihm.

„Ihr Sohn hat Prüfungsangst“

Oh mein Gott, endlich eine neue Option auf der Drehscheibe, ich erwache blitzartig aus meiner Hypnose. In der nächsten freien Minute setze ich mich mit seiner Lehrerin in Verbindung, erkläre ihr die Situation. Ihre Informationen bringen mich noch etwas weiter – an dem Fehltagen meines Sohnes wurden Vorbereitungsarbeiten für die bevorstehende Prüfung geschrieben.

Am Abend treffe ich endlich meinen Sohn wieder an. Er sitz einfach nur da und wartet auf mich, auf meine Reaktion, auf das Donnerwetter oder auf ´- was weiß ich was.
„Entweder du hast eine Freundin oder du nimmst Drogen oder du hast Angst, dass du deine Prüfung schaffen könntest“ ich gebe ihm mehrere Optionen zur Auswahl.
„Eine Freundin wäre schön, aber die habe ich nicht. Drogen nehme ich nicht. Du weißt, ich bin Epileptiker und darf keine Rauschmittel nehmen. Ich habe einfach nur Angst, dass ich die Prüfung verkacke“ gesteht es mir unter Tränen und erleichtert, dass endlich raus ist, was ihn die letzten Tage wie ein Hund vor die Tür trieb.

Wir fallen uns in die Arme und jetzt auch fließen meine Tränen der Erleichterung....
LaWe
Eschenfee - 28. Jan, 12:47

Dein Header-Bild ist einfach wunderschön, liebe LaWe und es paßt hervorragend zu Deinem "Macht der Fluchthormone". Schön zu lesen, daß ihr eine Lösung gefunden habt für die "Faul-Symptomatik" Deines Sohnes - ... vielleicht ist es der Anfang einer neuen Phase, in der er lernt die Welt seiner Gefühle deuten und umsetzen zu lernen - ich wünsch' es ihm ! Über die Geschichte ist mir einiges klar geworden ... lieben Gruss :o))

Lange-Weile - 31. Jan, 08:27

Hallo Eschenfee,

danke für dein Kompliment zum Haeder-Bild. Leider bekomme ich solch professionelle Bilder noch nicht hin - es ist geliehen.

Die festgefahrene Situation meines Sohnes hat sich wieder entschärft und bei allen Erschütterungen, die ich parallel dabet miterlebte, es hat uns füreinander sensiblisiert und ihn für die Zukunft, die ihm doch nicht so einerlei ist, wie er irrtümlicher Weise von sich annahm.

Das feinfühlige Verhalten seiner Klassenlehrerin machte ihm die Rückkehr in seine Klasse einfacher, d.h. ohne Scham über den mentalen "Zusammenbruch".

Gruß LaWe
Dr.Lecter - 16. Feb, 14:40

Ich finde es toll wie Dein Sohn und Du miteinander umgehen. Ich hätte mir gewünscht das meine Eltern es genauso gemacht hätten als mir die damals unlösbaren Abschlussprüfungen bevorstanden. Aber es ist ja nochmal gut gegangen. Er wirds schon schaffen.

Lange-Weile - 16. Feb, 15:36

Nachtwandler....

Hallo Dr. Lecter,

zum Glück kann ich mich noch gut in die Lage des Jugendlichen hineinversetzen. Ich hatte damals ja auch alles andere im Kopf, nicht das, was die Lehrer von mir wollten. Ich glaube, ich bin wie ein Nachtwandler durch die Prüfungstage marschiert.

Zur Zeit hat mein Sohn die Mädels im Kopf :-)
und daher steht die herannahende Prüfung schon wieder hinten an.

Ohje ohje....das wird noch ein harter Ritt :-)).

Gruß LaWe

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