Altersflecken

Ein dicker Wälzer, der neben mir liegt, soll mir die langen Straßenbahnfahrten durch meine Stadt verkürzen. Und da ist ein Thiller genau das richtige, in der Spannung und im Thempo zügig zu lesen.

Die Hauptfigur - Ambler - ist ein Agent mit einer außergewöhnlichen Fähigkeit, in Menschen zu lesen. Um dies für den Leser unter Beweis zu stellen, präsentiert der Schrifsteller diese außergewöhnliche Fähigkeit mit der Beschreibungen einer zufälligen Personen, die in der Handlung wie im Leben spurlos an einem vorbei laufen.

Mit einem einzigen Blick registriert er den hastigen Schritt einer Frau Anfang sechzig mit pfirsichbloden Haar und großen vergoldeten Ohrringen. Sie trug einen seitlich hochgesteckten dunkelblauen Faltenrock unter einem offenen, karierten Mantel. Die Griffe einer Kunsttstofftasche von Ann Tyler umklammerte eine Hand mit Alterflecken.

Sie hatte Stunden gebraucht, um sich für das Ausgehen zurecht zumachen, und ausgehen bedeutete einkaufen.

Kummervolle Einsamkeit lag auf ihren Zügen; die Regentropfen auf ihren Wängen hätten auch Tränen sein können. Sie war kinderlos, vermutete Ambler, und vielleicht trauerte sie auch deswegen.

In ihrer Vergangenheit hattes es zweifellos einen Ehemann gegeben, der sie hätte ergänzen können und ihr Leben hätte vollständig hätte machen sollen, einen Ehemann, der - vor zehn Jahren? vor fünfzehn? - unruhig geworden war und sich eine Jüngere, Frischere gesucht hatte, damit sie ihn ergänzte und sein Leben vollständig machte.

Jetzt sammelt sie Kundenkarten exklusiver Geschäfte und traf sich mit Leuten zum Tee und spielte Rubber am Bridgetisch, aber vielleicht nicht so oft, wie sie gewollt hätte; Ambler spürte eine große Enttäuschung gegenüber ihren Mitmenschen. Sie ahnte vermutlich, dass ihre Traurigkeit die anderen unterschwellig abstieß; sie waren zu beschäftigt, um sich um sie zu kümmern, und ihre Einsamkeit verstärkte ihre Traurigkeit noch mehr, so dass ihre Gesellschaft noch weniger gesucht wurde.

Und so verlegte sie sich aufs Einkaufen, kaufte Sachen, die zu jugendlich für sie waren, und war stets auf der Suche nach Schnäppchen, die selten teurer aussahen, als sie gewesen waren......

Auszug aus Die Ambler Warung von Rober Ludlum

Ich fand die Beobachtung und Betrachtung einer verlorenen Seele im Alter erschreckend deprimierend und wahr.

LaWe
creature - 7. Jul, 20:59

ich beobachte auch gerne menschen und lege meinen gefühlsmantel über ihre gestalt um kurz an ihrem denken, fühlen und dasein beteiligt zu sein, manchmal weiche ich erschreckt zurück, weil mir ihr leben so wehtut, manchmal spüre ich jemand der sichs wohl in seinem körper eingerichtet hat, das freut mich.
eine seele ist nie verloren, sonst wäre der mensch tot, sie kommt und geht mit dem atem.
es ist aber so das der kontakt zu ihr sehr leicht verloren geht da die ablenkung in dieser welt sehr stark ist.

Lange-Weile - 10. Jul, 23:31

Beobachtung

Hallo Creature,

das hast du aber schön geschrieben und sehr respektvoll gegenüber jeder Seele.

Die "verlorenen Seelen" ist vielleicht als dichterische Freiheit zu verstehen und ich hab diese Formulierung sicher aus der Literatur übernommen. Aber so mach einem Gesicht sehe ich die Kontaktarmut zur eigenen Seele auf der Straße oder Straßenbahn an. Das sind solche Momente, in denen die Gesichtszüge entgleiten.

Eine andere Gestalt beschreibe ich in meinem nächsten Eintrag.

Gruß LaWe

creature - 11. Jul, 08:10

fast niemand nimmt uns als seele wahr, meist nicht einmal als mensch sondern als konsument, steuerzahler, staatsbürger, schüler, patient, rentner, vater, mutter, migrant, und sonst noch alles....
daher finde ich respekt sehr wichtig, wenn menschen wertlos behandelt werden geben sie das an andere weiter, und so sind wir dort wo wir heute sind, iraner sind keine menschen, geschweige den seelen, sondern ein feind mit einer befremdlichen religion, z.b., ausländer stören, vor allem bei anderer hautfarbe besonders, aber wen erzähle ich das?
du weißt das sicher auch ;)
Chinaski - 11. Jul, 18:16

Wieso müssen eigentlich immer wir Iraner als Negativbeispiele herhalten ? :))

Jetzt mal ernst creature, ich glaube nicht an seele und sowas. Ich denke man muss nicht das dasein unbedingt verkomplizieren um Moral, Gefühl und Respekt predigen zu können. Ich denke egal was der Mensch ist, mit oder ohne Seele auch wenn er nur aus ein stück lebendiges Fleisch vor sich hin vegetiert, sollte er respektiert werden solange er ein Gefühl für den Respekt hat und dieses Wort definieren kann.

Gestern hab ich mich übrigens dabei ertappt wie ich die Ameisen vorsichtig umging weil ich es wohl nicht übers Herz brachte sie wissentlich zu töten denn unwissentlich sterben am Tag sowieso mehrere Lebewesen unter unseren Füssen.

Cheers :)
Chinaski - 14. Jul, 21:50

Es gibt zwei Arten von Wahrheiten. Es gibt oberflächliche Wahrheiten und tiefsinnige Wahrheiten.
Beides sind Wahrheiten. Das ich heute gefickt habe, gegessen und gearbeitet habe und dass ich schöne Musik höre ist die oberflächliche Art. Das erzähle ich so freiheraus und lach noch schön dabei.

Die tieferen Wahrheiten, die nicht so an der Oberfläche schwimmen, die selten erzählt werden, die aber einen Menschen ausmachen, woran ein Mensch Abends und in ruhiger Stunde denkt dann wenn er sich selbst nicht belügen kann, die Art von Wahrheit ist meist einfach nur Traurig, Melancholisch und oft auch depremierend.

Lange-Weile - 26. Jul, 20:18

Tor zur Wahrheit

Hallo Hank,

statistisch gesehen lügt der Mensch am Tag bis zu 200 mal und damit sind nur die kleinen Lügen gemeint wie z.B. auf die Frage: "Geht es dir heut gut". Ganz kleine Notlügen und einfach nur so daher gesagte Antworten, die mit dem inneren nicht konform gehen.

Die tiefergehende Wahrheit antwortet nicht auf die Frage, was du gemacht hast, sondern warum du das gemacht hast. Das sind Impulse zum Handeln, die selbst für den Handelnden unergründlich sind "Ich weiß auch nicht, warum ich das gemacht habe" heißt es dann.

Es gibt Menschen, die weichen ihrer wahren Natur aus, hetzen ohne Pause durchs Leben. Erst wenn sie mit ihrem rationalen Konzept gescheitert sind, kommen sie ins Grübeln, oder beginnen dann ganz langsam das Leben mit anderen Augen zu sehen.

Auch wenn es jetzt hart oder angemessen klingt - der Mensch entscheidet selbst ob er leiden oder nicht leiden wil. So kann er sich auch für die Traurigkeit und Melancholie entscheiden. Dahinter steckt wieder eine Wahrheit, der er selbst nicht ins Auge sehen will.

Michel Ende hat es in seiner "unendlichen Geschichte" sehr gut dargestellt.In seiner Geschichte durchschreiten nur wenige Menschen das Tor er Wahrheit, weil es sich erst öffnet, wenn er in sein wahres Spiegelbild gesehen hat. Das, was sie sahen entsprach nicht der Vorstellung, die sie selber von sich hatten und weil ihr wahres Spiegelbild so grauenhaft - in ihren Augen - war, wandten sie sich zu früh vom Spiegel ab und so bliebt das Tor für die für immer verschlossen.

Ich wünsche dir noch ein schönes Wochenende

Gruß LaWe

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