Rückblick

Die Wanderin

Sie ist klein, die Wanderin. Mit großen freundlichen und neugierigen Augen schaut sie sich mit ungebrochener Begeisterung die Welt an. Mit dem Wanderhut sieht sie nicht nur lustig aus, er soll sie auch vor starker Sonne und Unwetter schützen. In ihrem Rucksack trägt sie ihre Erfahrungen und Menschenkenntnis.



An vielen Eindrücken zog sie schon vorbei. An freundlichen Menschen, denen sie mit einem freundlichen Lächeln antwortete. An wunderschönen Plätzen, die sie romantisch stimmten. Dort lies sie sich für eine Weile nieder. Aber auch ein paar schwierige Wege hat sie beschreiten müssen. Halsbrecherische Pfade, unwegsame Gelände, moorastigen Boden und plötzlich einbrechende Unwetter lernte sie schon kennen.

Ab und zu gesellte sich ein Reisebegleiter zu ihr. Die Unterhaltung war für sie eine willkommene Abwechslung. Weil die Reiseziele unterschiedlich waren, trennten sich dann ihre Wege irgendwann.

Der letzte Reisebegleiter war lange mit ihr auf Wanderschaft. Aber er war nicht allein. In seinem Rucksack versteckte es den von ihm heiß geliebten Freund Alkohol. Der Freund hatte ihm ja das Glück versprochen. Er glaubte fest an ihm. Jedoch war er ein trügerischer Freund. Verlangte den höchsten Tribut, den ein Mensch nur zahlen kann. Er zwang ihn urplötzlich den gemeinsamen Wanderweg zu verlassen und ihre Wege trennen sich ohne Abschied. Die Wanderin ist heut noch traurig, denn er war ein geistvoller und liebevoller Begleiter.

Nun ist sie wieder allein auf ihrem Weg. Noch kraftlos und mit Schwermut in Herzen schlägt sie sich durch eine Welt, die jetzt etwas dunkel geworden war, doch findet die Wanderin wieder auf den sicheren Weg zurück.

An vielen Menschen zieht sie erneut vorbei, erfreut sich wieder an ihrem Lachen, an ihren kleine Schwächen und sie ist jedem dankbar, der sie von Herzen zum Lachen bringt. Sie findet wieder zu ihrer alten Kraft zurück.

Nach einiger Zeit gesellt sich ein neuer Reisebegleiter zu ihr. Er scheint die kleine Wanderin unterhaltsam zu finden, denn er weicht nun nicht mehr von ihrer Seite. Sie sind so im Gespräch vertieft, das sie gar nicht bemerkt hatte, dass sie ausschließlich ihm folgt und sich nun auf seinem Pfad befindet. Aber der neue Reisebegleiter hat ihr Vertrauen und sie ist neugierig geworden, was es auf seinem Pfad zu sehen gibt. Dabei kommen sie sich immer näher, bis zu einer intensiven, innigen Umarmung.


Jetzt erst schaut sie sich um. Wo ist sie? Plötzlich ist alles hell geworden, woher kommt das viele Licht? An welchem Ort ist sie? Er konnte sie ent- und verführen, ohne dass sie es gemerkt hat.

Sie erkennt eine kleine Insel, sie ist noch kahl, keine Blumen, kein Strauch, keine Tiere. Aber das viele Licht, es blendet sie fast. Und was ist das? Unter ihren Füßen beginnt sich etwas ganz leicht zu bewegen. Sie schaut zu dem Boden. Eine kleine Pflanze durchbricht die Erde und ein kleiner zarter Keim hat sich seinen Weg ans Licht gesucht.

Auf der unbekannten Insel ist der Frühling eingezogen. Sie hat nur zwei Bewohner, die Wanderin und ihren Reisebegleiter und eine erste Grünpflanze. Die Pflanze ist noch klein und zerbrechlich, aber die Pflege der beiden wird sie wachsen lassen, bis die ersten Knospen ansetzen und im Sommer wird sich die erste schöne Blüte zeigen. Beide freuen sich schon darauf, sind neugierig, wie diese Blüte ausschauen wird.

Sie unterhalten sich und tauschen dabei weiter verliebte Blicke aus. Der Himmel ist wolkenlos und die Sonne erwärmt die Erde. Schon kommen die ersten Schmetterlinge, fliegen um die Pflanze und in ihrem Bauch. Noch hat sich die Blüte nicht geöffnet und die Schmetterlinge müssen noch warten, bis sie sich auf der Blüte ausruhen können.

Aber was ist das? Voller Sorge schaut die Wanderin auf den Himmel. Ganz weit oben ziehen dunkle Wolken auf, ganz klein, doch sie werden zusehends größer, es wird bedrückend.

Ach, was soll das schon sein, beruhigt sich die Wanderin. Ein Frühlingsregen wird kommen. Etwas heftig, aber wir sind ja nicht aus Zucker. Der Hut wird sie schützen und die Pflanze ist kräftig genug, kann einen Platzregen bestimmt schon vertragen. Wie aber schützt sich ihr neuer Reisebegleiter? Die Wanderin weiß es nicht.

Die Wolken haben nun schon die ganze Insel überdeckt, sie verdunkelt. Das Unwetter bricht aus. Kein heftiger erfrischender Frühlingsregen, nein klirrende Kälte breitet sich aus. Alles um sie herum versinkt plötzlich in Schnee und Eis. Nun kommt auch noch ein starker Sturm auf.

Die Wanderin ist klein, versucht sich mühevoll zu halten, aber sie findet einfach keinen Halt. Der Sturm reißt sie zu Boden. Nur noch mit Mühe kann sie sich wieder aufrichten. Aber es gibt hier ja nichts zum Halten, wie sie von der freien Natur gewohnt ist. Es sind noch keine Bäume da, in deren schützenden Windschatten sie sich stellen kann. Und die Pflanze ist noch zu klein.

Aber, der Reisebegleiter ist ja noch da. Wenn beide sich festhalten, können sie dem Kältesturm standhalten, sich gegenseitig Wärme spenden, bis sich der Sturm gelegt hat.

Ihre Augen suchen nach ihm und schließlich sieht sie ihn im dichten Schneetreiben. Gegen den Sturm gelehnt kämpft sie sich zu ihm durch. Er kennt die Insel, es ist ja seine Insel, kennt die schwierigen Wetterlagen, weiß bestimmt, was zu tun ist. Ihre Hände greifen nach ihm. Aber die noch warmen Hände erfrieren an dem Eispanzer, der sich um ihn gelegt hat. Die Hilferufe erreichen ihn nicht mehr, prallen an dem Eispanzer ab. Sie sieht in seine Augen, sie sind wie hinter Glas. Wieder und wieder versucht sie den Panzer zu durchbrechen, aber der Eispanzer ist schon zu dick geworden, undurchdringlich.

Jetzt ist sie noch mehr von der Kälte erfasst, schaut schnell im ihrem Rucksack nach, es sind aber keine Wintersachen drin. Warum sollte sie auch welche bei sich haben, war es doch eben erst Frühling. Um nicht zu erfrieren, muss sie sich bewegen, muss sie laufen. Darf nicht weinen, sich nicht aufgeben. Sie möchte schreien, aber jeder Ton erfriert in der Kälte.

Die Insel, ja, die Insel verlassen, das wäre die Rettung, aber sie findet keine Brücke mehr. Wo ist sie? Der Sturm hat sie weg gerissen und sie kann nicht schwimmen. Nun ist sie gefangen auf der Insel, mit dem Mann aus Eis. Und die kleine Pflanze, wie geht es ihr? Oh, auch sie hat schon gelitten. Viele Blätter sich schon erfroren. Sie wirft ihren Hut darüber. Wenigsten soll die kleine Pflanze geschützt werden vor der klirrenden Kälte.

Weiter schaut sie sich Hilfe suchend um, der Mann aus Eis ist schon zu einer Säule erstarrt. Sie friert unendlich bei seinem Anblick.

Aber da, ganz weit hinten auf dem Wasser sieht sie ein Boot. Es steuert auf die Insel zu. Der fremde Bootsführer hat die Hilferufe gehört und ist gleich zur Insel gekommen. Völlig erschöpft steigt sie in das Boot ein. Er will sie zurückbringen in wärmere Gebiete.

Auf der Rückreise dreht sie sich noch mal um, wirft noch einen letzten traurigen Blick auf die Insel, die Insel, die nun völlig aus Eis ist. Sieht im Abendlicht die erstarrte Silhouette des Eismanns und den Hut, den sie schützend über die Pflanze warf. Vielleicht hat die Pflanze dadurch eine Chance, die klirrende Kälte zu überstehen und beim nächsten Frühling kann sie dann vielleicht wieder zu neuen Leben erwachen....


LaWe

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