selbst ausgewildert ?

Noch schnell ein Selfi, bevor mein Bus vorfährt. Für eine spaßige WhatsApp Nachricht, die jeden Donnerstag immer den slben Wortlaut hat. “Schlado geschafft”  “Schlado -Kurzwort für den langen Donnerstag). Meine Handykamera hatte grade Klick gemacht, als ein Junge auf mich zukam. “Können sie mir mal sagen, wie spät es ist?” “21.11 Uhr” gab ich bereitwillig Auskunft. “in 8 Minuten fährt der Bus”.

Die Wartezeit wollte er sich mit Scherben-machen vertreiben. Was ich noch nicht gesehen hatte, sah er. Eine leere  Bierflasche stand am Boden und die sollte über die Straße fliegen. “Lass die doch für Flaschenpaule stehen” “Wer ist Flaschenpaule ? “ Ich sagte ihm nicht, dass das eine Fantasiefigur war, aber ich lass Flaschenpaule durch mich sprechen. “Er sammelt die Flaschen ein, die andere abstellen und verdient sich damit Geld dazu” Der Junge sah sich um. als glaubte er, Flaschenpaule käme gleich um die Ecke. Weil das aber nicht geschah, warf er die Flasche im hohen Bogen über die Straße. Mit lautem Scheppern zerbrach die Flasche auf der anderen Seite der Fahrbahn.

“Jetzt haben die Autofahrer ein Problem. Sie werden sich ihre Reifen kaputt fahren” “Das ist mir egal, dafür sind die selber verantwortlich. Sollen sie doch aufpassen” Ach so einer bist du also “ist-mir-doch-egal-Typ”…über diesen Satz gleitet alles ab, was an Einwänden kommen kann.

“Wie spät ist es  jetzt ?” Wieder zückte ich mein Handy. “21.14 Uhr” Er sah auf den Fahrplan und errechnete die Restwartezeit. “Noch 5 Minuten Wartezeit, da kann ich noch meinen Stummel rauchen”. Meine Stirn kräuselte sich:

“Was sagen denn deine Eltern dazu?” So richtig wusste ich nicht, wie ich dem verwilderten Jungen entgegentreten sollte. und zog deshalb seine Eltern zu Rate.  “Die rauchen selber” eine schnelle Antwort. wie aus der Pistole geschossen. Ich schätze sein Alter, er könnte 11 Jahre alt sein. “Du bist doch erst 11 Jahre alt” und wartete ab, wie er reagiert. Spontan drehe er sich zu mir, wir standen uns Auge in Auge gegenüber. Mit festem Blick und betont klar in jedem Wort  hämmerte er mir sein (angebliche) wahres Alter in den Kopf: “Ich bin 16 Jahre alt und rauche schon seit meinem 9.Lebensjahr” Mir fiel aus dem Stand keine Widerrede mehr ein und sah ihn nur an. “Achja.. deshalb bist du so klein geblieben” wollte ich ihm darauf antworten, aber ich verkniff es mir. Das hätte eh nichts gebracht, er gehört ja zu den “Ist-mit-doch-egal-Typen”, damit wäre ich hoffnungslos an ihm abgeglitscht. Er war ja grade dabei, sich nicht nur ein dickes Fell anzuschaffen, sondern auch eine glitschige Aalhaut wachsen zu lassen

Fluchend brachte er seinen Stummel zum glimmen. “Das Scheißding will nicht angehen” Mehrmals ratsche er am Feuerzeug. dann glimmte sein Stummel. Seine erste Zigarette war das nicht, dafür waren die Bewegungen beim Rauchen zu routiniert. Noch 2 Minuten bist der Bus kommen sollte. Mit glimmenden Stummel kam er wieder zu mir und zeigte mir seine Narbe am rechten Daumen. Da hätte er sich an einer Scherbe geschnitten, das er zum Notarzt müsste.  Indiz für mich, das ich noch ein Kind vor mir habe - alten Wunden zeigen.

Unser Bus fuhr vor und er ließ mich galant den Vortritt und dass mit einer netten Handbewegung. Nachdem ich Platz nahm,, sah ich, der Möchte-gern-16Jähriger lies sogar eine Fahrgast aufstehen, weil der einen typischen Kinderplatz blockierte. Um den reißen sich fast alle Kinder. Ganz weit vorn beim Busfahrer und Blick auf die Frontscheibe. Indiz für mich, das ich ein Kind vor mir hatte – beliebte Kindeplätze einnehmen.

Der Bus erreichte seine Endhaltestelle. Einige der Fahrgäste waren schon zu Hause. Ich wartete auf die nächste Straßenbahn, die in 5 Minuten vorfahren sollte. Im Seitenblick konnte ich sehen, wie der Möchte-gerne-16 Jähriger den Busfahrer zulaberte. Vielleicht kannte man ihn auf dieser Strecke schon. Normaler Weise sollten Jungen in seinem Alter im Bett liegen, damit sie am nächsten Tag beim Unterricht nicht einschlafen. Wenig später fuhr meine Bahn vor und wieder sah ich ihm im Seitenblick. Er stieg in die selbe Straßenbahn, nahm wieder auf den bei den Kindern beliebten Sitzen Platz, in der Gondel. Das sind ei Plätze am Ende der Straßenbahn mit feien Blick auf die Straße.

Auf mich wartete noch ein Umsteiger. Als ich gegen 22 Uhr die Straßenbahn verlies, sah ich ihn schon wieder im Seitenblick. Er stieg wie ich aus, sah sich auf dem Bahnsteig zu beiden Seiten um und stieg dann wieder ein. Mir wurde jetzt etwas mulmig, Fast hätte ich geglaubt, er hätte sich an meine Fersen geheftet. Aber er fuhr mit der Straßenbahn weiter, die ihre Endhaltestelle im der Pampa hatte, ich setzte mich in den Bus und war in wenigen Minuten zu Hause.

Ob seine Eltern schon nach ihm suchen werden? sann ich grübeln nach. Der Junge machte auf mich den Eindruck, als würde er sich selber auswildern. Hatte er denn kein zu Hause mehr?  Warum irrt ein Junge in die Nacht durch Rostock?

Zufällig stieß ich heute auf eine Suchanzeige., ein 17 Jähriger wird von seinen Eltern vermisst. Der Junge auf dem Bild sah dem Jungen ähnlich, den ich an der Bushaltestelle traf: Aber wie das so ist, will man sich genau erinnern, dann weiß man es nicht mehr so genau:”Wie hat er ausgesehen?” Mit Sicherheit erinnere ich mich noch an seine Augen und die sehen dem Gesuchten ähnlich. Ich war mir nicht sicher und wollte das trotzdem mit der Polizei abgleichen. Ich erzähle der Polizei, was ich hier erzählte. Hob die Merkmale hervor, das angebliche Alter und die Narbe am rechten Daumen, hervor . “Nein, der Gesuchte hat keine Narbe am Daumen” Damit war klar. ich traf nicht den Gesuchten.

La We

rosenherz - 29. Jan, 19:24

Puh, eine Gänsehautgeschichte.

Lange-Weile - 30. Jan, 10:25

verlorene Kinder

Hallo Rosenherz,
ja.. wer weiß, wohin es den Jungen vertreiben hat oder ander gesagt, was ihn treibt, was ihn zu Hause fort getrieben hat. Ob der vermisste 17 jähriger schon aufgetauchte, darüber haben die Medien bisher noch nicht berichtet.
Für Eltern und Jungendlichen hoffe ich das Beste

LG La We
rosenherz - 30. Jan, 12:10

Liebe LaWe!

Bedrückend.
Und zugleich erscheinen Kinder oft sehr zäh, wenn sie auf der Straße leben und sich so druchs Leben schlagen (müssen). Doch was ist das für ein Leben für sie in unserer Gesellschaft? Ausgestoßen aus unserer Gesellschaft? Ausgeworfen als Kind, als Jugendliche, aus dem Getriebe einer Leistungs- und Konsumgesellschaft, die sich flirrend im Kreis dreht und sich nicht mehr darum kümmert, wer auf der Strecke bleibt in diesem Wettbewerbsdrama?

Ich stelle mir vor allem die Frage, wie ich in so einer Situation, wie du sie in der Begegnung schilderst, dem Jugendlichen angemessen gegenüber treten könne, ohne dass er sich auf die Zehen gestiegen fühlt? In welcher (inneren und äußeren) Haltung nehme ich Kontakt auf?
Was gebe ich (der andren Person) mit auf den Weg bei so einer flüchtigen (und mich möglicherweise verstörenden) Begegnung im Alltag?

Eine ältere Freundin, die schon an die Siebzig ist (und in Wien wohnt), erzählte mir mal, sie lädt in solchen Fällen zu einem kleinen (sofortigen) Kaffeehausbesuch in der Nähe ein.
Lange-Weile - 31. Jan, 13:20

Prägungen

Hallo Rosenherz,
ja.. für unsere Augen sieht das Bild der Kinder, die nachts durch die Straßen ziehen, traurig aus. Wahrscheinlich haben die Eltern von dem Jungen schon resigniert und haben max. die Kraft sich aneinander festzuhalten und beide suchen Halt an Drogen (Alkohol, Zigaretten etc.). Für ihre Kinder fehlt ihnen dann oft die Kraft. Ihre Kinder übernehmen, was sie sich bei den Eltern abgeschaut haben.
Solche Familien gab auch auch zu DDR Zeiten und damals hatte jeder Arbeit und wer nicht zur Arbeit kommen wollte, wurde geholt. Sie sollten Mitglied der Gesellschaft bleiben . Auch damals gab es Sozialhelfer, die den Familien jede Menge Unterstützung gaben und nur selten wurde die Unterstützung angenommen. Die meisten wollten aber in ihrem Leben so bleiben, wie es war. Welche Prioritäten in diesem Familien gesetzt wurde, konnte die Mitarbeiter, damals nicht ergründen. Die Familien waren in unseren Augen hilflos, in ihren Augen waren sie es jedoch nicht. Manche wollen sich einfach nicht den gesellschaftlichen Regeln unterordnen.

Auch unsere Gesellschaft ist von Regeln geprägt. Von der Finanzwelt aufdiktiert - Haste was, biste was. Wer nicht mal in die Nähe von "Haste ein bisschen was" kommt, schalten schon frühzeitig seine Zielstrebigkeit ab.

Was gebe ich den Jungen auf den Weg, wenn ich ihn treffe? Ich denke Ratschläge wollen sie eher nicht hören. Sie leben ja auch in einer Welt, die uns fremd ist. Das, was ich mache ist ihnen Respekt zollen, auch wenn ihr Leben so ganz anders aussieht als meins ist, ja sogar fremd auf mich wirkt. Ob ich ein Kaffeekränzchen mir ihm machen würde, das weiß ich nicht. Eher würde ich ihn einladen, zu einem Sportverein zu gehen, Hier bei uns in Deutschland ist die Teilnahme bei Familien mit geringem Einkommen kostenfrei. In dieser Gemeinschaft leren die Kinder viel über Sozialverhalten, ohne geschulmeistert zu werden.

Die Kinder sehen mich oft als Ihres Gleichen d.h. sie reden mit mir, als wäre ich ein Kumpel, den zu flüchtig begegnen. Das mag an meiner Körpergröße liegen. Aber auch, weil ich schon Jahrelang im Kindertraining arbeite und selbst ein Mitglied (als Erwachsene) aktiv in einer Sportgruppe war und meine Trainingspartner waren nicht selten Jugendliche.

LG La We

rosenherz - 4. Feb, 11:49

Liebe LaWe,

danke für deinen ausführlichen Kommentar, für den du dir Zeit genommen hast.
Das kann ich verstehen, wenn die Eltern des Jungen vielleicht resigniert haben. In unserem Verwandtenkreis gab es einen Jungen, der früh mit einem nicht einfachen Verhalten auffiel. Selbst ich war damals ratlos, wie wir gut (und richtig) mit dem Jungen und seinem Verhaltensweisen umgehen konnten. Kaum war er 15 wurde er in einer Jugendanstalt aufgenommen, von der er aber immer wieder davonrannte. Über Jahre wurde die alte verwandte Tante bestohlen, wenn er sie alleine im Hause wusste. Nachts die Tür von der Gartenseite aufgebrochen und Tantes Geldbörse geplündert, während sie fest geschlafen hatte. Er hatte kein eigenes Geld und verschaffte es sich auf diese Weise. Inzwischen ist der Junge Vater geworden und sie leben zu dritt bei der Großmutter (seiner Freundin), die sie finanziell über Wasser hält. Jung, mit einer kleinen Familie und ohne eigenes Einkommen. Was mag daraus hervorgehen?

Interessant, dass in D Kinder aus weniger begüterten Familien im Sportverein teilnehmen können. Ich weiß gar nicht, wie das in Österreich gehandhabt wird.
Selbst hingehen müssens halt die Kinder, was aber nicht immer einfach erscheint bei den jungen Leuten. Manche, die den sozialen Kontakt verloren haben, sitzen am liebsten vor dem Bildschirm oder treiben sich allein oder mit Freunden auf der Straße herum, als dass sie sich beim Sport austoben und ihre Kräfte in Bahnen lenken.

Im Süden Österreichs kenne ich ein Projekt, bei dem Jungendliche aus nicht ganz einfachen Lebenssituationen auf einem (Demeter) Bauernhof aufgenommen werden. Dort können sie sich mit landwirtschaftlichen Tätigkeiten beschäftigen - und ich habe gehört, es gäbe sensationelle Erfolge, wie Kinder zu glücklichen und selbstbestimmten Menschen geworden wären dank dieser Einrichtung. Vereinfacht gesagt. Diese Materie erscheint ja als komplexe Angelegenheit mit vielen Seiten, die eine tragende Rolle spielen.

Aus deiner Schilderung lese ich, du findest einen guten Draht zu Jugendlichen. Möglicherweise spüren sie auf einer unbewussten Ebene, deinen Respekt und die Wertschätzung für das Leben der Menschen.

Dass sich Menschen nicht den herrschenden sozialen und gesellschaftlichen Regeln unterwerfen (wollen), halte ich für einen wesentlichen Denkanstoß. Dieser alles zu beherrschen erscheinende Kapitalismuswahn produziert in diesem Wettbewerb um Sieger und Verlierer zunehmend Verlierer, die auf der Strecke bleiben und sie wie Dreck aus dem System auswirft.

Umso erfreulicher, zu lesen, wie dich das Schicksal dieses (unbekannten) Jungen berührt und du für ein paar Augenblicke Anteil nimmst an seinem Dasein. Von Menschen mit Mitgefühl zu lesen, tut mir gut.


Liebe Grüße
Rose
Lange-Weile - 9. Feb, 09:15

Impulse oder jeder geht seine Weg

Hallo Rose,

leider brechen auch aus "guten" Familien Kinder aus und entscheiden sich für ein Vagabundenleben. Hinter ihre eigene Motivation kommen sie wahrscheinlich selber nicht. Vielleicht haben sich sich ihre Familie so schlecht geredet, dass sie nicht mehr unter ihnen leben wollen. Menschen tun Sachen, die nicht immer logisch sind. Sie folgen einfachen Impulsen und denken dabei nicht an morgen.Sie leben nur für den Tag, für den Moment, missachten dabei die Regel des karmischen Handels. "Alles was in meinem Leben geschieht, ist die Folge meiner Entscheidung"

Man kann diesen Jugendlichen immer wieder Angebote machen, wie die Aufnahme auf einen Bauernhof. Eine super gute Idee, wie ich finde. Die verlorenen Seelen werden wieder geerdet und können vielleicht Wurzeln schlagen um Halt zu finden.

Die Technisierung unter Welt macht es für die Menschen nicht besser. Damit verlieren verlorene Seelen noch schneller die Bodenhaftung.
LG La We

herbstfrau - 9. Feb, 17:35

so traurig

und doch so verbreitet.
Wie werden Kinder so..warum werden Kinder so..wann beginnt ein Kind sich so zu verändern..
ein gewisser Trotz war in seinen Worten zu spüren. Ist mir doch egal...

Mhm, da fällt mir eine Parallele ein..
Letzten Monat hatte ich über Tage im Messenger einen Chat mit einem meiner ehemaligen Schüler.....

Lange-Weile - 14. Feb, 12:45

Resignation

Hallo Herbstfrau,

ja..für unsere Augen sieht es wirklich traurig aus, weil uns solch ein Lebensmodell fremd ist. Dem Jungen schien es trotzdem ganz gut zu gehen, aus seiner Sicht natürlich, aus meiner Sicht eher nicht
Aber warum werden sie so. Bis zum 10 Lebensjahr sollen die Kinder nachahmen, was sie in ihrem Umfeld täglich erleben. Wenn in der Familie die Kraft fehlt, den Kindern, etwas mit auf dem Weg zu geben, d.h. wenn schon in der Vater im Grunde noch ein "schwaches Kind" steckt, weil dessen Vater schwach war, dann kann er seinem Sohn auch keine Lebensregeln mit auf den Weg geben. Dito .. die Mutter. Sehr häufig halten "schwache" Menschen aneinander fest.
Oft sind es auch Menschen, die schon früh resigniert haben "hat eh keinen Zweck" ..es kann 1 000 Gründe dafür geben. von denen nur wenige von Außen erkennbar sind.

Trotz ist eine Abwehrhaltung, die ich häufiger bei Kindern im Training erlebte. Diese findet man fast ausschließlich bei schwierigen Kindern, weil in ihrem Umfeld niemand den richtigen Zugang zu ihren fand. Die Kinder haben schon so viel "Schelte" gehört, dass sie dicht machen und alles von sich mit "ist mir doch egal" abgleiten lassen oder sie halten sich die Ohren zu.

Im Training hatte wir einen Jungen, der permanent mit den anderen Kindern aneckte. Er wollte es besser machen, hatte auch die entsprechende Einsicht, aber er konnte es nicht, seine Impulse waren zu stark, als das er sie hätte kontrollieren können. Die Mutter gab sich alle Mühe, der Stiefvater verzweifelte, der richtige Vater lebte in Russland. Dieser hätte seinen Sohn vielleicht kontrollieren können, denn ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass der Junge die Impulsivität seines Vater hatte. Außer seinem Vater konnte ihm niemand helfen und der war weit weg. Wir mussten uns von dem Jungen , obwohl meine Kollegin uns ich ihn "retten" wollten, trennen, denn die Kleinen der Trainingsgruppe waren gefährdet.
Was aus dem Jungen geworden ist? Er mag jetzt 13 oder 14 Jahre alt sein und seiner impulsive Kraft wird gewachsen sein.

LG La We

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