Wirtschaftswunder

ZDF und ARD feiern in diesem Jahr ihr 50ig jähriges Bestehen. Ein halbes Jahrhundert, wie gewaltig das klingt. Weil ich zu DDR-Zeiten nicht im Tal der Ahnungslosen – damit waren die Dresdener gemeint – lebte, konnte ich schon damals die Westprogramme verfolgen. Eine fremde Welt, die wir damals nur über ARD und ZDF erleben konnten, auch wenn das Bild häufig verschneit und verrauscht war. Anspruchslos, wie wir damals waren,  reichte es schon, wenn wir die Konturen zu sehen konnten.

Der Aufwand war jedoch groß, um auch an das begehrte Westbild zu kommen.

Nach 40 Jahren DDR war´s dann Schluss mit lustig, die sozialistische Welt zerplatze wie ein zu weit aufgeblasener Ballon ohne Reserveschirm und alle, die im Korb saßen, stürzten mit ihm ab. Die vorher Abgeseilten hatten sich schon in der Fremde niedergelassen.

Dann gab´s nicht nur für alle Westfernsehen frei Haus, sondern auch das Leben für uns nach Konsum ausgehungerten Ostlern wie im Westen . Die Euphorischen stellten sich dieses Leben einfach und geschmeidig vor. Ihre Ernüchterung war sicher schmerzvoll. So einfach, wie das Leben im TV lief, sah das wahre Leben dann doch nicht aus. Wer seine Arbeit behielt, konnte glücklich sein und nahm sich als Auserwählter wahr. Wer keine Arbeit hatte, fand sich im Arbeitsamtsamt oder den Umschulungen wieder. Und andere wieder, machten sich Selbstständig, mit viel oder auch weniger Glück.

Seid der Wende stiegen täglich große und kleine private Unternehmen in das Wirtschaftswunder West ein. Für viele eine Wohltat. Nach der sozialistischen Misswirtschaft nun die kapitalistische  und reich machende Westwirtschaft. Die blühenden Gärten wurden bestellt, doch die Ernte bleibt für viele von ihnen aus. Das Wirtschaftswunder entpuppte sich als harte Bandage, das nur mit Ausdauer und Glück zu einen Erfolg führen konnte. Wer es nicht schaffte, verschwand wieder aus dem Register der Handwerks- und Handelskammern und fand sich im Sozialamt wieder.

Lange Rede kurzer Sinn.

Wohin mein textlicher Vorspann führen sollte, sieht man auf dem Bild.

Richtig, damit wollte ich den Blick auf den Schnaps- Bier- Zigaretten- und Keks-Kiosk lenken. Er hat es geschafft. Er hat, wie er heute noch da steht, schon 20 Jahre auf dem Buckel. Bis zur Mitte der 90iger Jahre versorgte ich mich dort mit Zigaretten, wenn sie mir ausgingen. Heute gehe ich nur noch daran vorbei, bei mir hat es sich schon seid Jahren ausgeraucht.

Dieses kleine Wirtschaftswunder Kiosk hat schon zahlreiche Einkaufscenter in seiner Nähe überlebt. Treue Raucher und Biertrinker – das soll jetzt nicht negativ gemeint sein – halten diesen kleinen Kiosk am Leben. Er ist zu einem sozialen Treffpunkt für einfache Menschen aus der nahem Umgebung geworden. Fast immer, wenn ich tagsüber vorbei gehe, steht eine kleine Traube Menschen um ihn herum. Meinst Männer, manche auch im Rollstuhl, die sich dort bei einem Bier und einer Zigarette unterhalten, während die mitgebrachten Hund die Gegend um den Kiosk herum in aller Ruhe ab schnüffeln dürfen.

An diesem kleinen Wirtschaftwunder Kiosk kann man sehen, dass auch die Kleinen überleben können, wenn sie im richtigen Ort am richtigen Platz stehen.

LaWe

lost.in.thought - 27. Mär, 07:19

Hallo LaWe -
solltest du einmal nach Wien kommen,
dann guck dir die vielen
"Würschtlstandln" an.
Jedes von ihnen
ist so ein kleines Wunder
wie dein Kiosk...
LG
Lost

Lange-Weile - 27. Mär, 17:25

Individuell

Hallo LOST,

in der Innenstadt findet man auch zahlreiche Kioske..mehr noch in Warnemünde...aber es hält sich jetzt in Grenzen. Die Mieten für die Plätze werden wohl zu teuer sein. Dafür findet man mehr die Imbissketten im großen Stil. Das Angeot ist eher langweilig,a ls individuell.

Ich fand es schon bemerkenswert, dass dieser Kiosk eisern duchhält und jeder Krise totzt. Ich denke..die sollte es mehr geben..weil dahinter noch Menschen mit eigenen Gesichtern stehen, mit denen es sich noch klönen (unterhalten) lässt und wo kein Arbeitgeber vorschreibt, was gesagt werden darf und was nicht.

LG LaWe

bonanzaMARGOT - 27. Mär, 08:59

ein schlaraffenland gibt es nicht. auch wenn unsere materialistische gesellschaft dies vorgaukelt. der überfluss entwertet die dinge, und die menschen werden süchtig nach mehr mehr mehr ...; und die industrie hält sie am gängelband, indem sie immer wertlosere dinge herstellt, an denen man nur kurz seine freude hat.
jede kultur, selbst unsere kapitalistisch-materialistisch ausgerichtete, hat ihre nischen, wo qualitäten wie menschlichkeit, einfachheit und beständigkeit überleben. selbst wenn es mit suchtmitteln wie alkohol und zigaretten zusammenhängt.
neben dem kiosk sehe ich da auch den kleinen kramladen und die kleine kneipe sowie den bäcker und den metzger, die noch zu keiner kette gehören.
es wird immer menschen geben, die diese qualitäten schätzen, die die menschliche atmosphäre dem trubel im einkaufszentrum vorziehen.

Lange-Weile - 27. Mär, 17:33

Gesicht zeigen

Hallo Bo.,

ja..bei vielen gab es nach der Wende eine dramatische Ernüchterung. Sie haben sich sicher vorher selbst geblendet, sich alles schö geredet.
Ich ahnte ja..was sich ändern wird..denn uns wurde in der Schule auch beigebracht, wie die Kapitalismus funktioniert. Zwar wurde alles mit Horrorszenarien untersetzt, aber der Grundtenor wurde schon richtig vermittelt.

Damals versuchte man den Menschen zu sagen, nach welchen Werten er leben sollte, heut muss jeder seine eigenen Werte finden und leben. Wenn solche kleinen Kramläden überleben, hat der Verbraucher einen maßgeblichen Anteil daran..er schätzt diese Werte wie Menschlichkeit und den persönlichen Kontakt zu den Menschen immer noch.

Ich erinnere mich an unseren Dorfkonsum. (laden) ..der für viele aus der Ortschaft eine Begegnungsstätte war. Dort wurde über das neuste aus dem Dorf und seine Umgebung ausgetauscht. Das nenne ich Handel mit Gesicht...das erreicht kein Supermarkt. Die Mädels im Supermarkt dürfen max nett und wortlos lächeln, bis die Lachmuskeln versagen ;-)

Naja...die Großen müssen noch sehr viel dazu lernen, bevor sie die Kleinen ganz ersetzen können.

LG laWe

bonanzaMARGOT - 28. Mär, 09:13

ich hoffe, dass eine vielfalt bei den geschäften und in der gastronomie bestehen bleibt. die großen sind inzwischen groß genug. wenn ich in die peripherie der städte schaue, wird mir schlecht. überall die großen einkaufsmärkte und shoppingzentren. ich frage mich manchmal, was sich die leute alles zusammen kaufen. kaufen, kaufen, kaufen - und wegschmeissen.
diese gesellschaft ist krank. dummerweise muss man, wenn man nicht ganz aussteigt, bei dem mist mitmachen. (trinke ich halt ein bier - dann sieht alles nicht mehr ganz so schlimm aus.) aber es gibt eben auch diese nischen, die hoffentlich bestehen bleiben oder sich immer wieder neu bilden.
ja, die ddr-bürger sahen nur das positive am westen - was ihnen nicht zu verdenken ist. einige werte sind im westen ja wirklich gut und sinnvoll: demokratie und freie meinungsäußerung sowie freie fahrt für freie bürger (lach!) ... scheiß auto lobby (entschuldige!).
nein, gauck sagt schon ganz richtig, dass das gut der freiheit gar nicht hoch genug einzuschätzen ist. aber wie frei ist man wirklich im kapitalismus? die einschränkungen und beeinflussungen passieren subtiler als in einer diktatur. es passiert eine andere form der gehirnwäsche, die den menschen in seinem kauf- und konsumverhalten lenkt, so dass er glaubt, er mache dies alles aus freien stücken. wir folgen nunmal der masse ...; wenn alle es so machen, wird es schon richtig sein.
drum ist diese entwicklung sehr schwer aufzuhalten. da müsste etwas passieren, was beinahe schlagartig ein umdenken bei allen menschen bewirkte. und solch ein ereignis stelle ich mir lieber nicht vor. (siehe fukushima.)
lieber setze ich mich in eine nische der nischenkneipe, trinke gemütlich mein bier und lese ein gutes buch.

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