Freitag, 17. Mai 2013

ganz Ohr

Viel Input habe ich ja gar nicht mehr, d.h. meist rede ich und dann sind die anderen still. Damit will ich nicht sagen, dass bei mir niemand zu Wort kommt, sondern das es in meiner Wohnung still geworden ist – außer TV Kulisse – denn niemand ist mehr da, dem ich ein Ohr abkauen bzw. dem ich mein Ohr leihen kann. Nur ab und zu bin ich mal Ohr und dann eher ungewollte. Das kommt daher, dass Mitreisende in der Straßenbahn oder S-Bahn so laut reden, dass man sich ihrem Gespräch nicht entziehen kann, wenn man nicht grade auf seine eigenen Ohren sitzt.

Vor mir in der StraBa sitzt ein ältlicher Herr – dumpf vor sich her blickend. Nach rechts, nach links – niemand nimmt Notiz davon oder erwidert seinen Blick. Der Platz neben ihm ist leer und eine ältere Dame, die an der Haltestelle  mit ihrem Rollator in die StraBa schiebt, lässt sich neben ihn nicht ungefragt nieder. Er nickt und legt auch verbal gleich los. “Die Ärzte sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Da kann man hingehen und die machen einfach nix. Ich krieg nicht mal Medikamente” dröhnt er der älteren Dame ins Ohr. “Hmm” antwortet sie. “Na, zum Glück kann ich noch laufen, dabei bin ich schon 64 Jahre alt” Seine Worte gehen durch ihre Ohren durch. “Da muss  man eben einfach mal ne Flasche Schnaps trinken” erzählt er und meint damit seine Selbstmedikation. “Hmm – so  ist das” antwortet seine Nachbarin und lässt sich von ihm nicht ins Gespräch verwickeln.

“Also unsere Politiker sind ja auch nicht mehr das, was sie mal waren. Das sind ja alles Verbrecher” beklagt er sich. Dann nuschelt er was unverständliches vor sich her. Nur ein paar Wortfetzen erreichen mein Ohr. “Die stecken sich das dicke Geld ein und uns lassen sie verhungern …dieser Scheiß Staat….und mit der Flasche Schnaps “, die er auf den Ärger trinken muss, beendet er sein Selbstgespräch. Seine Nachbarin “hmm..so ist das” und steht auf. Sie hat ihre Haltestelle erreicht und nimmt ihr verschlossenes Ohr gleich mit. Der Mann vor mir fällt wieder ins dumpfe Brüten. Vielleicht will er schnell nach Haus, da warte seine Frau oder Flasche ? auf ihn.

In der S-Bahn dröhnt ebenfalls ein lautes Gespräch an mein Ohr. “Den werde ich aber morgen die Fresse polieren” sagt eine junge Stimme neben mir. “Warum denn das?” fragt sein Bekannter: “Hat das was mit den Hunderter zu tun?” “Ne..das ist schon lange vorbei. Der kriegt wegen was anderes auf die Fresse” droht der Jüngling neben mir  noch einmal. dabei lässt er sich die Worte “Fresse” und “polieren” so richtig auf der Zunge zergehen, sieht wahrscheinlich schon die blutende Fresse vor seinen Augen.  Doch warum der andere seine Fresse poliert bekommen soll, erfahre ich leider nicht mehr, mit der nächsten Haltestelle haben sie und auch ich unser Reiseziel erreicht. Sie verlassen vor mir die Bahn, ich nach ihnen. Ohje..jetzt sehe ich die beiden deutlicher - vor mir sind 2 Wadenbeißer. Und der Kleinere von beiden wollte ja an die Fresse des anderen. Ich frage mich “Ob der kleine Wadenbeißer überhaupt an die Fresse reichen wird?”

Das Kindertraining ist schon im vollen Gange. Alle haben Spaß, fast alle haben Spaß. Die Stimmung eines kleines Mädchens schlägt plötzlich um,  sie bricht mitten im Wuhling der 20 Kinder in Tränen aus. Der Spaß, den sie bis eben noch hatte, ist verflogen, hat sich in Nichts aufgelöst. “Was hast du?” frage ich nach. Die Kleinen schauen in solch betrübten Momenten am liebsten zu mir, sie warten auf meine Resonanz. Meine Kollegin leitet die ganze Gruppe, ich kümmere mich um die Tränen. Die Kleine stottert, wenn sie aufgeregt ist, aber im Kinderlärm erzählt sie mir, was ihr am Herzen lag. “Als eben die ganzen Jungs an mir vorbei gelaufen sind, musste ich an meinen Bruder denken” und wieder fließen die Tränen in Strömen. Ihr Bruder musste kurz vor Weihnachten eine Haftstrafe antreten und dass macht der Kleinen nicht zum ersten mal zu schaffen. “Das kann ich verstehen” sage ich ihr, wir gehen gemeinsam an den Rand der Sporthalle. “Ich habe ihn schon soo lange nicht gesehen und ich vermiss ihn so” ihre Tränen kullern und kullern. Aufmunternde Worte sind schwer zu finden. "Vielleicht kannst du ihn ja bald besuchen. Wir machen jetzt eine paar Fotos – (meine Cam habe ich immer dabei) – und ein kleines Video. Wenn du deinen Bruder besuchst, dann zeigst du ihm, welchen Spaß dir der Sport macht” Die Kleine ist wieder aufgeheitert. Sie springt ein paar mal ins Bild , macht faxen und wieder raus, ist wieder am lachen.

Ein weiteres Mädchen steht auch am Rande der Halle. Immer wenn ich in ihre Nähe kommen, scheint sie förmlich an mir zu kleben, will dann nicht zu den anderen. “Was hast du"?” ich will ihr auch mal ein Ohr leihen, aber sie will keins haben. “Nichts” antwortet sie, auch ihre Tränen laufen, wie sie sagt, ohne Grund. Niemand hat sie geärgert, auch keine Laus, die ihr über die Leber gelaufen ist. Sie ist einfach nur traurig. Die Kleine kommt aus Togo, lebt hier in Deutschland in einer fremden Kultur. Ihr Deutsch ist fließend, aber ihr Naturell wird ein anderes sein. Sie muss sich von Zeit und Zeit anlehnen und dafür hat sie mich ausgesucht.

Zwei Kinder halten sich für ein paar Minuten unter meinen Flügeln auf und dann schwirren sie wieder davon, ins Getümmel der Kinder.

LaWe

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